Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 20:51


Gereifte Weine in Würzburg

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
  • Autor
  • Nachricht
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Gereifte Weine in Würzburg

BeitragSo 23. Apr 2023, 14:40

Hallo zusammen,

vorgestern war es mal wieder Zeit, in der örtlichen VHS einige gereifte Weine zu entkorken und in der Teilnehmergruppe "blind" zu probieren. Natürlich sollte nach Möglichkeit der entsprechende Jahrgang erraten werden, was durch Hinweise auf Ereignisse (Politik, Sport, Kultur, sonstiges Zeitgeschehen) in dem betreffenden Jahr ein klein wenig erleichtert wurde. Als Grundvoraussetzung musste jeder Wein mindestens 10 Jahre oder älter sein. Insgesamt wurden 16 Weine (8x weiss, 8x rot) aus 16 verschiedenen Jahrgängen geöffnet, wobei wir ohne Korkschmecker davonkamen und nur 1 Wein schon deutlicher gereift, aber immer noch gut trinkbar war. Das war weit mehr, als ich eigentlich erwartet hatte, zumal sich nahezu alle Weine von ihrer besten Seite zeigten.

Nun zunächst zu den Weißweinen:

2006er Blanc de Blancs Grand Cru non dose (Pierre Moncuit, Mesnil-sur-Oger)-Champagne-
jugendliches Strohgelb, lebhafte, feine Perlage,superelegante, nur ganz dezent angereifte Nase, zarte Briochenoten,Agrumen, dank langem Hefelager zarte, lebhafte Perlen, trotz fehlender Dosage sehr elegant, saftig, perfekter, extrem hochwertiger Aperitif-Champagner, der weit jünger wirkt als die knapp 23 Jahre Flaschenreife.
Diesen Schampus kann man tatsächlich auch heute noch zu einem mehr als fairen Preis im Handel erstehen. Ein absolut gelungener Einstieg!

1992er Würzburger Stein Riesling Spätlese trocken (Juliusspital Würzburg) -Franken-
jetzt kam der einzige Wein, der schon deutlich seinen Zenit überschritten hatte, aber auch ohne grösseren Altersbonus noch "unfallfrei" zu trinken war: gereifte Farbe, kräftiges Goldgelb mit deutlich rötlichen Nuancen, zunächst etwas dumpf in der Nase, mit Lufteinfluss zerstreute sich aber der anfängliche Korkverdacht, fast abgeschmolzene Frucht, etwas Lederapfel, Blockmalz, Hauch Liebstöckel, am Gaumen dank knackiger Säure (8 Promill) noch recht agil, knalltrockener Eindruck (gut 3 Gramm Restzucker), Alkohol (12,5 Vol%) völlig eingebunden, auf der Zunge ein wenig anoxidierter Apfel, Malzbonbon, kräutrig, in Ehren "ergrauter" Franken-Riesling, der ja auch immerhin schon knapp 30 Jahre auf dem Buckel hat. Der relativ kurze Korken war in noch relativ gutem Zustand und konnte in 1 Stück unfallfrei gezogen werden.

2007er Escherndorfer Lump Silvaner "L" Spätlese trocken (Rainer Sauer, Escherndorf)-Franken-
der einzige "verschraubte" Wein des Abends, der dies mit einem glänzenden Auftritt belohnte: mittelkräftiges, lebendiges Gelbgold, in sich ruhende, glasklare Silvaneraromatik, die die kräutrige Seite dieser Rebsorte perfekt zeigte, Salbei, Estragon, vor allem frische Kräuter, daneben auch reifer Apfel, Hauch Melisse, auf der Zunge trocken, aber mit viel Extrakt, ein Maul voll Wein, aber ohne alkoholische Exzesse (13,5 Vol%), geschmeidig mit genau dem richtigen Mass an strukturiender Säure, dezente Gelbfrucht, sehr saftig, extraktreich, tolle Länge.
Der Wein ist jetzt in perfekter Verfassung, wird aber bei guter Lagerung auch ein langes Leben haben können.
Die Weine von Rainer und Daniel Sauer wirken in ihrer Jugend oft etwas brav und unspektakulär, sind aber mit entsprechender Reife eine Wucht! Grosses Silvaner-Kino mit einem immerhin fast 16 Jahre alten Bocksbeutel.

1999er Escherndorfer Lump Scheurebe Spätlese halbtrocken (Horst Sauer, Escherndorf) -Franken-
der letzte Wein einer Frankenwein-Triologie und einer der positivsten Überraschungen des Abends, der Wein ist knapp 24 Jahre alt und beweist, wie positiv sich Restsüsse (hier irgenwo zwischen 12 und 18 Gramm) auf die Harmonie und Reifefähigkeit eines Weines auswirken kann, ich hätte den Wein in einem anderen Kontext blind auf höchstens 5-6 Jahre alt geschätzt. Nur zartes Gelbgold, die Überraschung kommt dann beim Riechen, ganz feine und äusserst typische Scheu-Aromatik, reife Grapefruit, elegante Cassis-Noten, etwas Weinbergspfirsich,Hauch Rhabarber aber überhaupt nichts Lautes oder Exaltiertes, ganz feine, sogar komplexe und erstaunlich jugendliche Aromatik Aromatik, am Gaumen zart restsüss, elegante Säure,dezenter Alkohol (12 Volt), gebirgsquellartig klar und extrem trinkig, reife Grapefruit, Cassis, saftiger Pfirsich, fein und komplex, langer, aromatischer Abgang ohne jegliche Schwere.
Großes Scheu-Kino. Bernd wäre sicherlich begeistert gewesen ;) Im übrigen das magische Jahr mit der totalen Sonnenfinsternis in Deutschland, die ich glücklicherweise in der Nähe von Heilbronn perfekt miterleben konnte.Ein unvergesslicher "Gänsehautmoment" :D

2004er "Vina Tondonia" Blanco Reserva (Lopez de Heredia, Haro) -Rioja-
Cuvee aus 90% Viura und 10% Malvasia, 6 Jahre Fasslagerung mit anschließendem 8 jährigem Flaschenlager, ein sehr spezieller Wein mit großem Reifepotential und einer immer größer werdenden Fan-Gemeinde. Mittelkräftiges Gelbgold, ganz zart anoxidierte Nase mit deutlichem (Alt-)Holzeinfluss, nur ganz dezente Apfelfrucht, es überwiegen komplexe und würzige Aromen (Holzschränckchen, etwas Möbelpolitur), am Gaumen knalltrocken, sehr lebendige Säure, nur mittelgewichtig (12,5 Vol%), Frucht und Rebsorte spielen hier nur die 2. Geige, würzig und komplex, das Paradox Reife mit Oxidation bei gleichzeitiger Frische wird hier perfekt präsentiert, großartiges Weinunikat mit gewissem Kultcharakter, das vielleicht nicht jedem schmeckt, aber jeder einmal probiert haben sollte. Leider haben die Weinpreise hier in den letzten Jahren aufgrund der großen Nachfrage doch deutlich angezogen, aber der Wein bleibt in Anbetracht des zeitintensiven Ausbaus noch erschwinglich.

1966er Wallufer Walkenberg Riesling Auslese Cabinet (J. B. Becker, Niederwalluf) -Rheingau-
ein knapp 57 Jahre alter Weinmethusalem, der sich dank perfekter Lagerung und langem Korken sensationell präsentiert: reife Farbe (kräftiges Goldgelb mit ganz dezenten Rot-Reflexen), tatsächlich neben Würze und etwas Karamell noch deutliche Gelbfrucht, reifer Pfirsich, Hauch Ananas, Tick Bortrytis, am Gaumen zarte Restsüsse, die die Aromatik mitträgt, eher cremige, aber strukturiende Säure, hat Extrakt und Dichte, nur mittelgewichtiger Eindruck, reife gelbe Früchte mit einem Hauch Exotik am Gaumen, etwas ganz saubere Bortrytis, tolle Länge.
Grandioser, perfekt gereifter Altwein, der auch ohne entsprechendem Reifebonus selbst Frucht-und Jungweintrinker beeindrucken dürfte. In diesem Jahr wurde übrigens 1860 München deutscher Fussballmeister :lol: und England wurde dank fehlender Torlinien-Technik Fussball-Weltmeister :evil:

2010er Dalsheimer Hubacker Riesling GG (Keller, Flörsheim-Dalsheim) -Rheinhessen-
mit Abstand der beste Riesling aus diesem unterreifen und feuchten A....jahr, den ich je probiert habe, für mich sogar der beste Keller-Hubacker im Zeitraum 2005 bis einschl. 2012 (danach konnte ich mir die Folgejahrgänge nicht mehr leisten), recht jugendliches Strohgelb, unheimlich elegant und ebenmäßig in der Nase, zarte, knapp reife Gelbfrucht (Pfirsich, Zitrus) mit einem Hauch Exotik (Maracuja, Mango), aber überhaupt nicht plakativ, ganz fein gewebte Nase, nahe an der Perfektion, am Gaumen sehr saftig und ebenmäßig, ein paar Gramm Restsüsse mit klarer Säure, nur mittelgewichtig (12,5 Vol%), sehr präzise Gelbfrucht, zarte Würze, ein Hauch extrem saubere Bortrytis, die etwas an hochwertige F.X.Pichler-Smaragde früherer Jahre erinnert, daher zarter Schmelz mit enormer Länge, die aber durch diese präzise, laserartige Säure perfekt konterkariert wird, ein absoluter High-End-Riesling von Weltklasse, der zeigt, dass in diesem nassen Jahr mit viel Risiko und extremer Selektion bei sicherlich minimaler Ernte ganz Großes möglich war... ein fast ausserirdischer Jahrgangsvertreter ;)

2002er Ürziger Würzgarten Riesling Auslese *** (Jos. Christoffel jun., Ürzig) -Mosel-
die Weine von dem leider schon verstorbenen Kajo Christoffel sind auf unspektakuläre Weise legendär und zeitlos, diese 3-Sterne-Auslese macht da keine Ausnahme: lebendiges, klares Goldgelb, faszinierende Nase mit reifer, exotischer Gelbfrucht, aber überhaupt nicht aufdringlich, eher elegant und zurückgenommen, zarte Kräuterwürze, ganz sauberer Bortrytishauch, am Gaumen perfekt ausgewogen und balanciert, integrierte, fast zarte Süsse, die perfekt mit der Säure interagiert, leicht im Körper (7,5 Vol%), dennoch reichlich Extrakt, am Gaumen Ananas, reifer Pfirsich, etwas Mango, äusserst saftig, souveräne Länge. Tolle, zeitlose Riesling-Auslese, die sowohl anspruchsvoll als auch extrem trinkfreudig ist. Perfekte, elegante Mosel-Auslese mit mittlerweile "kleinem" Kultcharakter, die den Weißwein-Block passgenau abrundet.

Die 8 Rotweine folgen in Kürze!!

LG
Bodo
Offline

Ollie

  • Beiträge: 1912
  • Registriert: Mo 6. Jun 2011, 11:54

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragSo 23. Apr 2023, 15:03

weinaffe hat geschrieben:2006er Blanc de Blancs Grand Cru non dose (Pierre Moncuit, Mesnil-sur-Oger)-Champagne-
(...) Champagner, der weit jünger wirkt als die knapp 23 Jahre Flaschenreife.


Sowas kriegt nur Pierre hin! :mrgreen:

Cheers,
Ollie
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
Offline
Benutzeravatar

Jochen R.

  • Beiträge: 2591
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:53
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragSo 23. Apr 2023, 15:35

Danke Bodo für die wiederholt interessanten Notizen, insbesondere
zum Hubacker - der ist neben K-G´s Pettenthal und Christmann´s Idig
einer meiner absoluten Lieblinge. Leider kenne ich den Jahrgang 2010
nicht.

Viele Grüße,
Jochen
weinaffe hat geschrieben:...
2010er Dalsheimer Hubacker Riesling GG (Keller, Flörsheim-Dalsheim) -Rheinhessen-
mit Abstand der beste Riesling aus diesem unterreifen und feuchten A....jahr, den ich je probiert habe, für mich sogar der beste Keller-Hubacker im Zeitraum 2005 bis einschl. 2012 (danach konnte ich mir die Folgejahrgänge nicht mehr leisten), recht jugendliches Strohgelb, unheimlich elegant und ebenmäßig in der Nase, zarte, knapp reife Gelbfrucht (Pfirsich, Zitrus) mit einem Hauch Exotik (Maracuja, Mango), aber überhaupt nicht plakativ, ganz fein gewebte Nase, nahe an der Perfektion, am Gaumen sehr saftig und ebenmäßig, ein paar Gramm Restsüsse mit klarer Säure, nur mittelgewichtig (12,5 Vol%), sehr präzise Gelbfrucht, zarte Würze, ein Hauch extrem saubere Bortrytis, die etwas an hochwertige F.X.Pichler-Smaragde früherer Jahre erinnert, daher zarter Schmelz mit enormer Länge, die aber durch diese präzise, laserartige Säure perfekt konterkariert wird, ein absoluter High-End-Riesling von Weltklasse, der zeigt, dass in diesem nassen Jahr mit viel Risiko und extremer Selektion bei sicherlich minimaler Ernte ganz Großes möglich war... ein fast ausserirdischer Jahrgangsvertreter ;)
...
Belgrave ist nichts für Unschuldige
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragMi 26. Apr 2023, 19:03

.... und weiter geht es mit den roten, gereiften Weinen:

2012er "Tschuppen" Spätburgunder Landwein (Ziereisen, Efringen-Kirchen) -Baden-
einer der preiswerteren Vertreter im Portfolio: 12,5 Vol%, 0,9 gr. RZ, 6 Wochen Maischestandzeit, 20 Monate gebrauchtes Barrique, unfiltriert.
Sehr jugendliches Rubinrot mit ganz zarter Ziegelrottönung, durchaus komplexe Nase mit reifer Kirsche, Brombeere, Himbeere und ganz dezente Holzuntermalung, ätherische Noten (Hauch Menthol) und sous bois,reife und kühle Nase, am Gaumen komplett trocken, lebendige, aber nicht bissige Säure, feinkörniges Resttannin, durchaus elegant mit etwas Grip, Dunkelfrucht mit würzigen, kräutrigen Akzenten, absolut kein Powerwein, aber mit Frucht und gewisser Dichte, fruchtig-würziger Abgang. Bei guter Lagerung und intaktem Korken kann sich dieser Wein in ein paar Jahren noch verbessern. Das ist wirklich eine reife Leistung für einen Wein mit dem damaligen Handelspreis von ca. 12 EURO.
Hier stimmt Preis und Leistung auf jeden Fall.

2013er Neipperger Schloßberg Lemberger GG (Graf Neipperg) -Württemberg-
mitteltiefes Rubinrot mit leicht aufhellendem Randbereich, sehr elegante, feine Nase nach Kirsche, Cassis und Brombeere, fast etwas "Pinot-feeling", perfekt integriertes Holz, in sich ruhender Naseneindruck, das bestätigt sich auch im Mund, ungewöhnlich für Lemberger ein "seidiges" Mundgefühl ohne jegliche Rustikalität, durchgegoren, ausreichend Extrakt in diesem nicht einfachen Jahr, angenehme Säure, das Tannin ist fast abgeschmolzen und sehr feinkörnig, stimmiger Holzeinsatz, elegante, würzige Frucht (Brombeere, Cassis) trotz 13,5 Vol% nur ein mittelgewichtiger Rotwein, sehr ausgewogen, jahrgangsbedingt nicht die ganz große Dichte und Länge, keine Extraktion auf Teufel komm raus, sondern eine feinfühlige und elegante Umsetzung der Jahrgangsbedingungen.
Chapeau!

2009er Clos du Jaugueyron Haut-Medoc. a.c. (Michel Theron, Arsac) -Bordeaux-
Cuvee aus 60% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 10% Cabernet franc und Petit Verdot, 13,5 Vol%.
Dieses Mini-Weingut (6,2 ha) flog lange Zeit unter dem Radar und dieser Haut-Medoc war sicherlich einer meiner besten Subs-Käufe in Bezug auf Preis und Leistung (knapp 14 EURO).
Noch sehr jugendliches Granatrot mit Purpurkern, sehr elegante, fruchtig-würzige, fast ebenmässige Nase, die Reife, aber kein Übermaß an Alkohol vermittelt, komplexe Dunkelfrucht, zarter Holzeinsatz, absolut mundwässernder und noch jugendlicher Eindruck, am Gaumen sehr ausgewogen mit seidiger Säure und sehr feinkörnigem Tannin, das sich schon gerundet hat, zarte, reife Cassis- und Brombeernoten, nur unterstützender Holzeinsatz, etwas Extraktsüsse, tolle Harmonie mit guter Länge. Dieser Bordeaux trinkt sich jetzt sehr schön, wird aber auch noch einige Jahre weiterreifen können. Ein eher "moderner" Bordeaux mit Klasse und Stil, der auch mit deutlich teureren Weinen aus dem Medoc qualitativ mithalten kann.

1993er Chateau Canon-la-Gaffeliere Grand Cru Classe St. Emilion (Comtes de Neipperg) -Bordeaux-
Cuvee aus 50% Merlot, 40% Cabernet franc und 10% Cabernet Sauvignon, 12,5 Vol%.
Ein schöner Kontrast zum Vorgänger-Jahrgang, 1993 war ein nicht zu warmes Jahr mit spätem Regen, der vor allem die Qualität des Cabernet Sauvignon beeinträchtigte. Merlot und Cabernet franc konnten noch vorher geerntet werden, so dass vor allem in Pomerol und St. Emilion doch sehr zufriedenstellende Weine vinifiziert werden konnten.
So ist es kein Wunder, dass der Canon-la-Gaffeliere auch nach knapp 30 Jahren eine sehr gute Figur macht, was natürlich auch an der sehr guten Lagerung und dem ausgezeichneten Korken liegt:
noch lebendige Farbe, aufgehelltes Rubinrot mit ganz wenig Ziegelrot, ganz klassische, kühle Nase, knappe Reife, Cassis, Himbeere, vermischt mit ätherisch-kühlen Noten (Minze), Mokka, Leder, Unterholz, elegant, macht neugierig auf den ersten Schluck, am Gaumen absolut trocken mit strukturierender, eingepasster Säure, fast komplett abgeschmolzenes Tannin, Mittelgewicht mit gerade genug Fleisch an den Knochen, harmonische, fast zarte Dunkelfrucht, komplexe Würze (Graphit, Zeder, Kardamon), perfekter Holzeinsatz, jahrgangsbedingt keine Extraktbombe, aber unter Beachtung von Eleganz und Finesse perfekt vinifiziert. Ein bildhübscher Bordeaux aus der "guten alten Zeit" mit tollem Trinkfluss. Erst kürzlich nachgekauft für gut angelegte 49 EURO.

2005er "904" Rioja Gran Reserva DOC (La Rioja Alta) -Rioja-
Cuvee aus 90% Tempranillo und 10% Graciano, 4 Jahre Fass und mindestens 5 Jahre Flaschenlager, 13,5 Vol%.
Ein klassischer Rioja im perfekten Reifestadium: klares, zart angereiftes Rubinrot, leichte Reduktion mit etwas Zündholz, verfliegt aber weitgehend unter Lufteinfluss, saftige Kirschfrucht, etwas Himbeere, Hauch Cassis, sehr harmonisch, im Mund trocken mit deutlicher Extraktsüsse, saftige Säure, feinkörniges, fast poliertes Tannin, ebenmässige Dunkelfrucht, vermischt mit feinem Holzeinsatz, kraftvoll, aber nicht alkoholisch, sehr gute Länge.
Dieser Rioja ist jetzt perfekt reif, wird aber auch in 10 Jahren noch viel Spass machen.

2011er Chambolle-Musigny 1er Cru a.c. (Francois Bertheau, Chambolle-Musigny) -Burgund-
typische Farbe eines gereiften Pinots, aufgehelltes Rubinrot mit einigem Ziegelrot, eine Nase zum Reinkriechen, reife Himbeeren, Kirschen, Hauch Cassis, vermischt mit minzig-kräutrigen Noten, sehr komplex und elegant, im Mund deutlich extraktsüss, reife, helle Beerenfrucht mit kühler Kräuterwürze, zarte Säure, extrem feinkörniges, fast abgeschmolzenes Tannin, Alkohol (13,5 Vol%) perfekt integriert, gute Länge.
Typischer, hochklassiger Chambolle 1er Cru (Cuvee aus 3 Lagen), der jetzt perfekt reif ist. Warum mit dem Genuss noch warten.. Leider sind diese Weine zu teuer geworden :cry:

2000er Chateau Gloria St. Julien a.c. (Heritiers Henri Martin, St. Julien) -Bordeaux-
Cuvee aus 65% Cabernet Sauvignon, 25% Merlot, 5% Cabernet franc und 5% Petit Verdot, 40 % neue Barriques.
jugendlicher Eindruck, rubinrot mit Purpurkern, elegante, komplexe Nase, Cassis, Brombeere, Kirsche, vermischt mit etwas Tintenblei, Zedernholz, im Mund ebenso elegant, guter, aber nicht überbordender Extrakt, feine Säure, feinkörniges Tannin, in sich ruhender Eindruck, hier ist nichts zu viel und zu wenig, angenehme 12,5 Vol%, saftige Dunkelfrucht, komplexe Würze, nur mittelgewichtig, aber perfekt ausgewogen, gute Länge, grosser Trinkspass. Der Wein ist jetzt nach knapp 23 Jahren auf dem Reifehöhepunkt, wird aber seine Form noch einige Jahre behalten.
Sehr hochwertiger und eleganter Bordeaux aus diesem "magischen" Jahr.

1996er Vintage Porto (Quinta do Castelhino, S. Joao de Pesqueira) -Douro-
noch kräftiges, kaum durchscheinendes Purpurrot, makellose Kirschfrucht, Hauch Altholz, harmonische, perfekt gereifte Nase, angenehme Restsüsse, saftige Säure, eingepasste, nur dezent schmeckbarer Alkohol (20 Vol%), saftige Herzkirsche, Brombeere, etwas Schlehe, kräftiges, aber feinkörniges Tannin, kraftvoll, gute Länge. Ein guter, aber nicht großer Jahrgangsport aus einem ebensolchem Jahrgang, der jetzt trinkbereit ist, aber auch noch gelagert werden kann. Dieser Jahrgangs-Port ist im Handel immer noch für sehr günstige 35 EURO zu haben.

Fazit: Wenn es , wie hier, in einer Altweinprobe praktisch keinen Ausfall und nur angenehme Überraschungen gibt, kann man sehr zufrieden sein. Es gab jedenfalls keine negativen Rückmeldungen, ganz im Gegenteil....

LG
Bodo
Offline

Je-Mi

  • Beiträge: 210
  • Registriert: Mi 25. Nov 2015, 20:23

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragMi 26. Apr 2023, 19:41

Danke für deine Notizen, Bodo.

2009er Clos du Jaugueyron Haut-Medoc. a.c. (Michel Theron, Arsac) -Bordeaux-
Cuvee aus 60% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 10% Cabernet franc und Petit Verdot, 13,5 Vol%.
Dieses Mini-Weingut (6,2 ha) flog lange Zeit unter dem Radar und dieser Haut-Medoc war sicherlich einer meiner besten Subs-Käufe in Bezug auf Preis und Leistung (knapp 14 EURO).
Noch sehr jugendliches Granatrot mit Purpurkern, sehr elegante, fruchtig-würzige, fast ebenmässige Nase, die Reife, aber kein Übermaß an Alkohol vermittelt, komplexe Dunkelfrucht, zarter Holzeinsatz, absolut mundwässernder und noch jugendlicher Eindruck, am Gaumen sehr ausgewogen mit seidiger Säure und sehr feinkörnigem Tannin, das sich schon gerundet hat, zarte, reife Cassis- und Brombeernoten, nur unterstützender Holzeinsatz, etwas Extraktsüsse, tolle Harmonie mit guter Länge. Dieser Bordeaux trinkt sich jetzt sehr schön, wird aber auch noch einige Jahre weiterreifen können. Ein eher "moderner" Bordeaux mit Klasse und Stil, der auch mit deutlich teureren Weinen aus dem Medoc qualitativ mithalten kann.

Sehe ich genauso wie du. Der Wein ist jetzt (schon) sehr gut zu trinken. Ich habe davon noch ein paar Magnumflaschen. Wie schätzt du da die Lagerfähigkeit ein?
Ich wundere mich darüber, dass du den Wein als "modern" einstufst. Ich dachte, das Weingut steht eher für "klassischen" Bordeaux. Kannst du das mal erläutern. Gerne natürlich auch einer der anderen Bordeaux- Experten.
Grüße Jens
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragDo 27. Apr 2023, 11:20

Je-Mi hat geschrieben:Sehe ich genauso wie du. Der Wein ist jetzt (schon) sehr gut zu trinken. Ich habe davon noch ein paar Magnumflaschen. Wie schätzt du da die Lagerfähigkeit ein?
Ich wundere mich darüber, dass du den Wein als "modern" einstufst. Ich dachte, das Weingut steht eher für "klassischen" Bordeaux. Kannst du das mal erläutern. Gerne natürlich auch einer der anderen Bordeaux- Experten.
Grüße Jens


Hallo Jens,
zur Erklärung muss ich da etwas ausholen. Ich bin mit den Bordeauxweinen der 60er bis 80er-Jahre sozialisiert worden. Bis auf wenige Ausnahmejahrgänge waren die Weine eher schlank und frisch mit guter Säurestruktur, wenig Alkohol (meist 12-12,5 Umdrehungen) und einen moderaten Neuholzeinsatz, was zu einem eher finessenreichen Stil mit durchaus Charakter, Ecken und Kanten (Stichwort Bret), einem etwas "dreckigeren" Ergebnis führte. Durch den deutlich angekommenen Klimawandel sind die aktuellen Bordeauxweine reifer, voluminöser und deutlich alkoholischer geworden, unterstützt durch eine gegenüber früher peniblere Traubenselektion und dem vermehrten Einsatz neuer Barriques. Die absolute Qualität ist heute sicherlich höher, allerdings geht dies für mich auf Kosten des Trinkflusses und der Unterscheidbarkeit gegenüber vielen gut vinifizierten Weinen aus der "neuen Welt". Aus diesem persönlichen Bordeaux-Weltbild heraus ist der Clos du Jaugueyron für mich eher modern (mit der Betonung auf eher). Im heutigen Bordeaux-Kontext ist dieser Wein aber eher auf der traditionellen Seite, da der Alkoholgehalt meist im moderaten Bereich liegt, nicht die allerletze (Über-)Reife, sonder vielmehr ohne übertriebenen Holzeinsatz die Harmonie und Eleganz im Wein gesucht wird. Für mich ist das nach wie vor ein toller Weinwert. Dieser Wein steht für mich jetzt am Beginn eines vielleicht 10-jährigen Trinkfensters. Da du ja noch einige Flaschen im Keller hast, kannst du alle 2 Jahre mal eine Flasche öffnen und möglichst darüber berichten. Ich habe noch 1 Flasche übrig, die ich wohl in den nächsten 5 Jahren entkorken werde.

LG
Bodo
Offline

Je-Mi

  • Beiträge: 210
  • Registriert: Mi 25. Nov 2015, 20:23

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragDo 27. Apr 2023, 17:36

Vielen Dank für deine Ausführungen. Habe ich mir fast gedacht.
Im Vergleich zu anderen Weinen hat der Jaugueyron tatsächlich niedrige Alkoholgehalte. 2011 und 2016 haben z.B. 12,5%. Findet man ja in Bordeaux kaum noch.
Grüße
Jens
Offline

Ursula

  • Beiträge: 49
  • Registriert: Di 11. Okt 2022, 13:19

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragFr 28. Apr 2023, 14:10

Hallo Bodo,

ich habe gerade Ihren sehr detaillierten Bericht über Ihre VHS-Weinprobe gelesen ( danke dafür ! ) und freue mich über Ihre Begeisterung für den 2010er Dalsheimer Hubacker Riesling GG. Besonders deswegen, weil ich davon noch 2 Flaschen im Keller habe. Meine Frage an Sie : Jetzt mit großem Genuß trinken oder noch die weitere Reifeentwicklung abwarten ?
Ich habe mit den GGs vom Hubacker ( besonders in den etwas kühleren Jahren ) schon sehr viele genußvolle Momente erleben dürfen, allerdings sind meine Vorräte insgesamt doch etwas geschrumpft.

Beim 21er Riesling GG habe ich dann aber doch nicht widerstehen können und 6 Flaschen eingelagert.
Die Lage heißt jetzt "oberer Hubacker" ( ist der offizielle Katastername für dieses Hanggrundstück im Gegensatz zu den Flachlagen drumherum), den Weinberg mitsamt dem Hubackerturm habe ich mir bei einer Wanderung im letzten Jahr mal genau angesehen: sehr gepflegt , begrünt und kein Herbizideinsatz.

Und die erste Flasche vom 21er, die ich gerade

schlückchenweise genieße, ist auch ein Versprechen auf eine excellente Zukunft. Typisch Hubacker, natürlich noch sehr jung, aber wieder diese tolle Balance, die alle Kellerschen GGs aufweisen.Kein schmeckbarer RZ ( das war vor einer Dekade noch ein bißchen anders ), straff,ungemein trinkanimierend,feine Würze,fest,kein Gramm zuviel auf der Waage,langer, seidiger Abgang.
Mit 12,5 Vol. Alk. bestens positioniert.Dürfte bald in die Kategorie " Grosser Wein " vorstoßen.

Gruß Ursus
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Gereifte Weine in Würzburg

BeitragSa 29. Apr 2023, 16:13

Ursula hat geschrieben:Hallo Bodo,

ich habe gerade Ihren sehr detaillierten Bericht über Ihre VHS-Weinprobe gelesen ( danke dafür ! ) und freue mich über Ihre Begeisterung für den 2010er Dalsheimer Hubacker Riesling GG. Besonders deswegen, weil ich davon noch 2 Flaschen im Keller habe. Meine Frage an Sie : Jetzt mit großem Genuß trinken oder noch die weitere Reifeentwicklung abwarten ?
Ich habe mit den GGs vom Hubacker ( besonders in den etwas kühleren Jahren ) schon sehr viele genußvolle Momente erleben dürfen, allerdings sind meine Vorräte insgesamt doch etwas geschrumpft.

Beim 21er Riesling GG habe ich dann aber doch nicht widerstehen können und 6 Flaschen eingelagert.
Die Lage heißt jetzt "oberer Hubacker" ( ist der offizielle Katastername für dieses Hanggrundstück im Gegensatz zu den Flachlagen drumherum), den Weinberg mitsamt dem Hubackerturm habe ich mir bei einer Wanderung im letzten Jahr mal genau angesehen: sehr gepflegt , begrünt und kein Herbizideinsatz.

Und die erste Flasche vom 21er, die ich gerade

schlückchenweise genieße, ist auch ein Versprechen auf eine excellente Zukunft. Typisch Hubacker, natürlich noch sehr jung, aber wieder diese tolle Balance, die alle Kellerschen GGs aufweisen.Kein schmeckbarer RZ ( das war vor einer Dekade noch ein bißchen anders ), straff,ungemein trinkanimierend,feine Würze,fest,kein Gramm zuviel auf der Waage,langer, seidiger Abgang.
Mit 12,5 Vol. Alk. bestens positioniert.Dürfte bald in die Kategorie " Grosser Wein " vorstoßen.

Gruß Ursus


Hallo Ursus,

der 2010er Hubacker ist jetzt für mich in einem schönen Trinkstadium. Die eine Flasche, die ich noch im Keller habe, werde ich wohl in den nächsten 2-3 Jahren entkorken. Dieser Wein wird aber auch in 5-10 Jahren noch schmecken, vor allem, wenn man gereiftere Nuancen im Wein schätzt. Also 1 Flasche demnächst geniessen (bitte berichten!) und die andere noch ein paar Jahre im Keller verstecken ;)

LG
Bodo

Zurück zu Weinproben und Verkostungsberichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen