Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 11:08


Ü-30-Weinprobe in Würzburg

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
  • Autor
  • Nachricht
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Ü-30-Weinprobe in Würzburg

BeitragDi 14. Mär 2023, 19:48

Hallo zusammen,

vor knapp 2 Wochen konnte ich an einer Weinprobe des örtlichen Wein-Dealers ;) teilnehmen, die unter dem Motto "Ü-30" stand. Die Zahl 30 stand dabei natürlich nicht für das Mindestalter der Teilnehmer, sondern das der Weine. Insgesamt 12 Teilnehmer, die auch mit reichlich Wasser, Brot, Wurst und Käse versorgt wurden, konnten in ungezwungener Atmosphäre insgesamt 12 "Oldie-Weine" verkosten. Als ich das "line-up" der angebotenen Weine (Jahrgänge zwischen 1937 und 1993) studiert hatte, machte ich mich auf eine Probe mit einigen Ausfällen gefasst, da auch teilweise vermeintlich einfachere Weine auf dem Programm standen. Wie hatte ich mich da geirrt ! Alle 12 Weine standen noch erstaunlich vital im Glase und machten durch die Bank auch ohne Altersbonus viel Spass.

Folgende Weine kamen ins Glas:

1992er Riesling Brut Reserve (Peter Lauer, Ayl)-Saar-
dieser nach knapp 30 Jahren Hefelager im Juni 2022 degorgierte Riesling-Sekt ist alles andere als müde. Dezente Rieslingfrucht, Brioche, zarthefig, saftig und glasklar, das wirkt alles noch sehr stimmig und lebendig. Lediglich die Perlage ist naturgemäss etwas dezenter, aber ansonsten käme man im entferntesten nicht auf das Alter dieses Schäumers. Ein sehr gelungener Einstieg!

Als nächstes kam ein in jeder Hinsicht überraschend stimmiger Rotwein ins Glas, der sicherlich zu seiner Zeit nicht die Spitze des Winzersortiments darstellte:

1989er Spätburgunder Qualitätswein trocken (Dr. Pauly-Bergweiler)- Mosel-Saar-Ruwer
sehr ehrliche Pinot-Farbe, aber ohne jegliche Brauntöne, eher ein hellrot mit Ziegelrot-Reflexen, hat tatsächlich gut erkennbare Pinot-Stilistik (Walderdbeere, Himbeere), sehr sauber und klar, ein sehr lebendiges Leichtgewicht. Erstaunlich, wie sich solch ein "kleiner" Wein in dieser Verfassung halten konnte.
Es ging aber alles mit rechten Dingen zu, was an den altersgemäßen Korken gut zu sehen waren. Alle Weine stammten aus einem sehr kalten Keller, was den Reifeprozess deutlich verlangsamt hat.

Als nächstes stand Burgund auf dem Programm, genauer gesagt das Beaujolais:

1976er Moulin-a-Vent a.c. (Chateau des Jacques, Thorin) -Beaujolais-
der Korken war zwar ziemlich "hinüber", der Wein aber nicht. Sehr typischer Gamay mit immer noch guter Struktur und dezenten hellfruchtigen Noten. Im Kontext aller Weine vielleicht der am meisten entwickelste Wein der Probe, wobei man bei jeder Altweinprobe mit diesem Wein sehr zufrieden sein dürfte.

Dann ging es wieder zurück nach Deutschland mit einem Rotwein, der in mehrerlei Hinsicht überraschte und gleichzeitig Rätsel aufgab:

1946er Dürkheimer Feuerberg Spätburgunder Rotwein (Weingroßhandlung Hans Felten) -Rheinpfalz-
schon die Farbe überraschte: durchaus vitales, etwas durchscheinendes Rubinrot, durchaus noch Frucht, dezentes Tannin, sehr vital und mit viel Vergnügen zu trinken. Der für die Nachkriegszeit durchaus hochwertige Korken war brüchig und sehr authentisch. Insofern kein Fake, zumal es sich sicherlich nicht lohnt, in dieser "einfachen"Liga zu tricksen. Allerdings war dieser wirklich gute Rotwein nicht unbedingt pinot-typisch. Ich vermute, dass hier auch mit farbstärkeren Weinen nachgeholfen wurde, was dem Wein aber nicht geschadet hat. Die heute nicht mehr existierende Weingroßhandlung hatte übrigens ihren Sitz an der Mosel. Egal, was drin war... well done.

Wo wir schon einmal beim Pinot waren, kam jetzt das Original:

1964er Gevrey-Chambertin a. c. (E. Couturier)
wieder ein sehr rüstiger Old-Timer: intakte Farbe, etwas reduzierte, aber gut erkennbare Pinot-Frucht, fleischig mit guter Struktur, ordentliche Länge, ein perfekt gereifter Gevrey-Village.

Nun war Bordeaux an der Reihe mit einem guten Beispiel, dass auch nicht so große Jahre viel zu bieten haben:

1993er Chateau Canon La Gaffeliere Grand Cru Classe St. Emilion (Comtes Neipperg)
perfekte Flasche mit sehr gutem Füllstand und perfektem Korken, sehr klassisch mit nur 12,5 Umdrehungen, ein merlotbetonter old-school- St. Emilion mit eleganter Frucht und feiner Würze (Tabak und altes Leder), durchaus komplex, kein Gramm zu viel Fleisch an den Knochen, die Kernkompetenz liegt hier in der Delikatesse und Feinheit und nicht in der Fruchtdichte. Für 49 EURO ein klarer Nachkaufkandidat. Jetzt perfekt zu trinken.

Jetzt natürlich noch einmal Bordeaux, noch mehr merlotbetont, aus Pomerol und aus einem "großen" Jahrgang:

1982er Chateau Clinet Pomerol a. c. (Georges Audy)
deutlicher Unterschied zum Vorgänger, verführerische Dunkelfrucht, einem Top-Bourgogne gar nicht unähnlich, sehr dicht,kräftige Extraktsüsse, Tannin weitgehend abgeschmolzen,ein Hauch Bret, Top-Länge, jetzt voll auf dem Höhepunkt. Großartiger Gebiets- und Jahrgangsvertreter. Zum "drin Baden" :lol:

Fortsetzung mit den letzten 5 Weinen folgt!

LG
Bodo
Offline

weinaffe

  • Beiträge: 1216
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Ü-30-Weinprobe in Würzburg

BeitragMi 15. Mär 2023, 13:00

..... und weiter geht es mit den Ü-30-Weinen:

jetzt war noch einmal Bordeaux an der Reihe, diesmal cabernetbetont vom "linken" Ufer aus einem guten, aber nicht großem Jahr:

1964er Chateau Branaire (Duluc-Ducru) Grand Cru Classe St. Julien (J. Tapie)
erstaunlich jugendlicher Ausdruck, völlig intakte Farbe mit dezentem Ziegelrot im Aussenbereich,wirkt gar jünger als der 1993er Canon la Gaffeliere,sehr elegant, feiner Extrakt, Struktur und Frucht gut verwoben, kein Blockbuster wie der 1982er Clinet, aber durchaus mit Dichte und Substanz, verbindet das beste beider Welten zwischen Finesse und Kraft. Toller Bordeaux auf dem Höhepunkt!

Nun geht es weiter mit den Weißweinen, die alles andere als enttäuschten:

1970er "Grünlack" Riesling Spätlese (Schloss Johannisberg) -Rheingau-
die Rieslinge von Schloss Johannisberg sind seit Jahrhunderten für die Klasse und Langlebigkeit berühmt... dieser Versteigerungswein mit perfekter Füllhöhe macht da keine Ausnahme: dezentes, klares Bernstein, zarte Bortrytis-/Honignote, komplex, am Gaumen fast trockener Eindruck,wesentlich jugendlicher als der Naseneindruck, saftige, aber nicht spitze Säure, Zitrus, Aprikose, Trockenobst, etwas Holzwürze, in sich ruhend und trotz der grazilen Art sehr nachhaltig im Abgang. Großartiger Riesling in Top-Verfassung.

Als Kontrast ging es nun an die Loire mit einem quicklebendigen Chenin-blanc:

1971er Quarts-de-Chaume a.c. (Chateau de Bellerive)
dieser Wein war sehr gut ausgewählt, da es zum Johannisberger trotz unterschiedlicher Rebsorten tatsächlich Ähnlichkeiten gab: ähnliche Farbe, komplexer Nasen- und Gaumeneindruck, auch hier tolle Mischung aus Frucht (Aprikose, Zitrus und vor allem Quitte) und honigunterlegter Würze, saftige Länge. Hier überwiegt von Fruchtseite her etwas die Quitte, beim Riesling war es mehr die Aprikose. Der Quarts-de-Chaume wirkt auch einen Tick lieblicher, auch wenn beide Weine einen eher halbtrockenen Eindruck hinterlassen.
Ein wirklich spannender Vergleich, der zeigt, dass Chenin blanc und Riesling sich im Alter durchaus ähneln können.

Mit den letzten beiden Weinen geht es aber wieder zurück nach Deutschland.
Der nächste Wein war für mich fast die grösste Überraschung der Probe.... Riesling aus einem Sch....jahr, der aber absolut brillierte:

1958er Karthäuserhof Kronenberg Riesling Spätlese (Karthäuserhof, Eitelsbach)-Ruwer-
absolut authentischer Korken, noch sehr gute Füllhöhe, schon die Farbe überrascht, recht hellfarben, ein strahlendes Hellgold, vermutlich wurde der Wein mit reichlich SO2 versehen, was sich jetzt im Alter auszahlt, anfangs leicht reduktiv in der Nase, verliert sich aber in kürzester Zeit, unheimlich jugendlicher Eindruck, deutliche klare Gelbfrucht (Zitrus, Weinbergspfirsich), keinerlei Honig- oder Trockenobsteindrücke, blind eingeschenkt hätte ich den Wein vielleicht auf 10 Jahre alt geschätzt, am Gaumen fast komplett trocken, saftige und kräftige, aber integrierte Säure, die für unglaubliche Frische sorgt, trotz der tänzerischen Leichtigkeit ist hier durchaus Extrakt und auch Länge vorhanden. Wenn ich diesen Wein nicht getrunken hätte, würde ich das alles nicht glauben. Der Karthäuserhof hat in diesem schwierigen und eher kleinen Jahr einen unglaublich guten Job gemacht. Der Wein ist auch ohne Altersbonus grosse Klasse! Chapeau !!

Zum Abschluss der Weinprobe ( am Schluss gab es dann noch das obligatorische "Tannenzäpfle" ;) noch etwas Hochgradiges aus einem zur damaligen Zeit recht bekannten Weingut:

1937er Bodenheimer Silberberg Trockenbeerenauslese (Weingut Oberstleutnant Liebrecht) -Rheinhessen-
klare Bernsteinfarbe, noch durchaus jugendliche Optik, in der Nase Gelbfrucht, Trockenobst, Honignoten, extrem saubere Bortrytis, erstaunlich jung auch am Gaumen, saftige Säure und integrierte Süsse spielen perfekt zusammen, tolle Harmonie, ein fast "zeitloser" Wein. Da keine Rebsortenangabe auf dem Etikett war, spielt hier wohl der Silvaner, der zu dieser Zeit die Hauptrebsorte in Deutschland stellte,eine nicht unwesentliche Rolle.

Fazit:
ich habe schon einige Altweinproben mitgemacht, aber noch keine, bei der es keinen einzigen Ausfall und viele positive Überraschungen gab. Dies wäre definitiv auch eine Probe für Weinliebhaber gewesen, die mit ausgeprägten Reifenoten nichts anfangen können. Absolut genial.
Anfang August gibt es ein weiteres "Altweinerlebnis", das aber auch seit langem schon ausgebucht ist.
Ich werde berichten!

LG
Bodo
Offline

Ralf Gundlach

  • Beiträge: 2197
  • Registriert: So 30. Jan 2011, 23:13

Re: Ü-30-Weinprobe in Würzburg

BeitragFr 17. Mär 2023, 19:30

Hallo Bodo,

tolle Weinprobe, toller Bericht. Danke! Da muss ich automatisch etwas wehmütig an den Hauseter Altweinmarathon denken, den Markus, der Ostbelgier früher iniziiert hat . Da kommen sofort viele, schöne Erinnerungen hoch. Ich finde, dass es ein Privileg ist solch gereifte Tropfen aus vergangenen Zeiten trinken zu dürfen. Was der Rheingau früher konnte hast du ja bei der 70er Spätlese von Schloss Johannisberg erfahren können. Der Jahrgang wurde etwas in der Warnehmung vernachlässigt, weil der Folgejahrgang so grandios war. Erstaunlich, dass der 89er Spätburgunder von Dr. Pauly-Bergweiler noch so gut intakt war. Das Weingut hat beim Riesling maximal mittelmäßige Weine zu Stande bekommen. Trotz guten Lagenbesitz. Und Bordeaux aus älteren Jahrgängen...das ist bei den richtigen Chateau`s immer etwas besonderes. Niemals uniformiert und angepasst.

Gruß

Ralf

Zurück zu Weinproben und Verkostungsberichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 14 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen