Di 4. Nov 2014, 17:31
Hallo zusammen,
nach der nicht ganz kompletten 90er Vertikale sollte dieses Jahr die 00er Vertikale des
Clos de la Coulée de Serrant von
Nicolas Joly folgen. Auch diese war nicht vollständig. Die Jahrgänge 2008 bis 2010 hatte ich ausgelassen, da ich persönlich mit jungen Coulée de Serrants nur wenig anfangen kann und "Potenzialtrinken" bei diesen Weinen letztlich wenig Sinn ergibt, außer aus akademischen Gründen.
Die Coulée de Serrants hatte ich alle 24 Stunden vorher geöffnet und nicht dekantiert. Serviert wurden sie zunächst mit den von Nicolas Joly empfohlenen höheren Temperaturen (ca. 14-16° C), nachdem das aber dazu führte, dass die Weine sich im Glas unvorteilhaft entwickeln, gingen wir zu einer Trinktemperatur von ca. 12° C über. Für das Probieren hatte ich leider keinen guten Tag herausgesucht. Es war nach dem Mondkalender ein Tag im Übergang vom Wurzel- zum Blättertag.
Wir waren zu zehnt und begannen erstmal mit zwei Chenin-Blanc-Schaumweinen, nämlich den beiden folgenden:
Nana Vins - 2004 Vin de France "Happy" Petillant Naturel
Clos Naudin - 2007 Vouvray Brut RéserveAlso ein "Komplettflaschengärer" und ein nach Champagner-Methode erzeugter Schaumwein. Der Pet Nat hatte hier keine Chance, zehn Jahre Flaschenlager klingen imposant, nur fragte man sich beim Trinken, was sie gebracht haben sollen. Der Wein wirkte nur mittelmäßig frisch, relativ "naturel" (im Sinne von apfelmostig) und etwas bäuerlich-rustikal. Ganz anders der Clos Naudin. Von dem hätte ich mir mal mehr Flaschen kaufen sollen. Der Brut Réserve wird nur in ausgewählten Jahrgängen erzeugt (in den 00er Jahren 2002 und 2007) und erhält 4 Jahre Flaschenlager. Für unter 20 Euro bietet er - finde ich - ein beträchtliches Trinkvergnügen. Er hätte vielleicht etwas feiner sein können, aber es war nahezu unmöglich, seiner beschwingten Dynamik zu widerstehen. Wer den mal in die Finger kriegt: unbedingt zuschlagen.
Dann der erste
Coulée de Serrant, nämlich aus
2011. Wir hatten eine Expertin am Tisch, die uns berichtete, dass Virginie Joly, die Tochter von Nicolas, seit kurzem den Botrytis Anteil im Coulée de Serrant zurückfährt und - auch wenn sie das so nicht sagt - etwas mehr auf Ausgewogenheit in den Weinen achtet. Dieser 2011er war jedenfalls deutlich zugänglicher als vor zwei Jahren 2009 und 2010. Der Alkohol war gut eingebunden, da war eine hervorragende Struktur, definitiv trotzdem Botrytis, und jetzt noch eine gewisse jugendliche Üppigkeit, die aber die Anlagen hat, sich mit ausreichend Flaschenreife zu harmonisieren. Vielleicht werde ich mir von dem 2011er nochmal ein paar Flaschen in den Keller legen.
Dem
2007er Coulée de Serrant hatte ich noch einen Counterpart aus Savennières gegenübergestellt, nämlich einen
2007 Savennières "L'Enclos" von
Eric Morgat. Der Flight war letztlich der schwächste des Abends. Der Morgat war recht Loire Chenin typisch und auch wirklich gut in der Nase, im Mund aber eher enttäuschend und ziemlich dünn. Der 2007 Coulée de Serrant war mit seinen 15,5% Vol. Alkohol einfach zu extrem. So viel Alkohol konnte er dann doch nicht verstecken, hinzu kam eine extrem reife bis überreife Frucht, sehr viel Botrytis, kaum Säure und ein eher unharmonischer Druck am Gaumen. Den Jahrgang kann man m.E. getrost auslassen, da wird auch eher nicht mehr viel kommen.
Als nächstes hatten wir dann die sehr schöne Reihe Coulée de Serrant 2006 bis 2000. In jeweils drei Stichworten zusammengefasst:
2006 - Säure, kompakt, jung
2005 - Harmonie, Ausdruck, komplex
2004 - Vermutlich fehlerhafte Flasche
2003 - Frische, Frucht, Klarheit
2002 - Harmonie, Panta Rhei, Universum
2001 - Botrytis, Trockenfrucht, Opulenz
2000 - Stille, Purheit, Finesse
Das erste Mal etwas ruhiger in der Runde wurde es beim 2005er, der letztlich allen am Tisch richtig gut gefiel. Da steckt wirklich unglaublich viel drin, in diesem Wein. Das zweite Mal richtig still, aber dann auch wirklich richtig still, wurde es beim 2002er. Da war sofort zu spüren, dass dieser Wein etwas Besonderes ist. Diese geradezu außerweltliche Komplexität und Schönheit trotz aller Verschrobenheit konnte man nicht einfach durch Reden ausdrücken. Letztlich fiel auch niemandem am Tisch richtig ein, wie man den Wein mit Einzelattributen gut beschreiben sollte. Das ist ein Gesamtkunstwerk, da greifen alle Elemente ineinander, der Wein wird am Ende des Jahres sicher in meine Top 5 einfließen.
Bei der 90er Probe war der Favorit der Runde seinerzeit der
1996 Clos de la Coulée de Serrant, von dem ich noch eine Flasche zum guten Preis gefunden hatte. Dank der Spende meines guten Freunds B. konnten wir auch noch den
1996 Clos de la Bergerie danebenstellen. Schon der Clos de la Bergerie war ein Traum: expressiv, unglaublich frisch, druckvoll, aber nicht wuchtig. Der 1996er Coulée de Serrant konnte seinen Erfolg aus der 90er Probe wiederholen, was angesichts der angeblichen Zickigkeit der Coulée de Serrants und einem Wein dieses Alters besonders erstaunlich war. Diesen 1996er Coulée de Serrant könnte ich dauernd trinken, in seiner frischen Art ist er auch deutlich leichter "verdaubar" als die doch teils sehr üppigen Exemplare aus den 00er Jahren.
Damit waren wir mit den Coulée de Serrants durch. Nach einigen anfänglichen Zweifeln, dass der Abend sehr anstrengend werden könnte (angesichts des 2007ers), entwickelte sich die Stimmung doch in Richtung Zufriedenheit bis sogar Euphorie. Unseren Gesprächen am Tisch und auch dem Feedback nach der Probe konnte ich entnehmen, dass (so ging es mir auch) die Vertikale ein deutlich besseres Bild über die "Seele" des Coulée de Serrants vermitteln konnte als dies bei den 90er Jahre Weinen der Fall war. Grund dafür könnte aber auch gewesen sein, dass ich die 90er Weine bis auf wenige Ausnahmen hier und da auf Auktionen gekauft hatte und einige Flaschen ziemlich sicher nicht so toll gelagert worden waren. Die Flaschenvarianzen waren also größer.
Was ist sie denn nun die "Seele" des Coulée de Serrants? Diese Frage ist natürlich nicht zu beantworten, außer vom Meister und seiner Tochter selbst. Was jedenfalls auffiel, war, dass sich durch alle Weine des Abends eine gemeinsame Linie zog und dass die Weine sich zwar je nach Jahrgang deutlich unterschiedlich präsentierten (sehr deutlich unterschiedlich), gewisse Kerneigenschaften aber immer da waren: eine ziemlich dunkle Farbe, eine sehr reife bis teilweise überreife Frucht (nicht im Sinne von fruchtigen Aromen, eher im Sinne einer abstrakten, sehr hohen Traubenreife), eine große Ausdruckskraft und ein schönes Zusammenspiel von dunklen (rosinigen) und hellen (grüner Tee, Kamille) Noten. In seiner besten Ausprägung (für mich 2002) ergibt das dann ein wirklich beeindruckend harmonisches Gesamtensemble.
Ich bin an dem Abend zu einem noch größeren Nicolas/Virginie Joly Fan geworden, als ich es sowieso schon war, und werde die Weine trotz ihres stolzen Preises auch weiterhin kaufen. Nicht aus jedem Jahrgang, aber aus den als gut geltenden. Denn erstens ist dieser Wein unersetzbar, allerhöchstens fallen mir Zind-Humbrecht Weine als Substitut ein. Und zweitens gehört er für mich zu den allerbesten trockenen Weißweinen, die ich bislang getrunken habe, wenn auch in einem recht extremen Stil.
Ganz zum Schluss hatten wir dann noch einen Süßwein, nämlich den
1989 Vouvray Moelleux Le Haut Lieu 1ère Trié der
Domaine Huet. Der ging nicht unter. Im Gegenteil. Zusammen mit den ein bis zwei besten Coulée de Serrants war er der Wein des Abends mit seiner puren, fast noch jungen, Harmonie, den wunderbaren Aprikosennoten und seiner schönen Balance aus Süße und Säure. Wer davon noch im Keller hat, darf sich glücklich schätzen. Von mir war es die letzte Flasche.