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Die Zukunft des Weinvertriebs im Bordelais

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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innauen

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Re: Die Zukunft des Weinvertriebs im Bordelais

BeitragSo 19. Jun 2011, 15:24

Hi Markus,

nein, ich denke da liegst Du genau richtig. Aber auch 2006 und noch 2007 hat man diese Hochpreisstrategie gefahren. Die Negociants waren früher ein notwendiges Übel, um die Massen an Flaschen an die Händler und Kunden zu bringen. Das scheint jetzt weniger nötig als früher. Wenn ich die Kunden direkt erreiche, warum bedarf es dann noch eines Zwischenhändlers? Zumal die Negociants erst die zweite Stufe der Verwertung darstellen und nur ca. 15 % auf den Preis aufschlagen. An erster Stelle direkt nach den Chateau kommen die Courtiers, die Makler. Sie nehmen gut und gerne 20 %.

Klar ist aber auch: Nicht alle Weine passen ins Luxussegment. Das mag wachsen, meinetwegen auch durch die Chinanachfrage. Aber 60 Weine mit 100 Euro EVP wird der Markt nicht aufnehmen. Der Markt könnte sich zwei- oder besser dreiteilen.

Ich bin wirklich gespannt, welche Preisstrategie die Chateaus dauerhaft fahren werden, wenn wieder ein mittelmäßiges oder schlechtes Jahr oder ein exzellentes Jahr nach dem anderen kommt. Werden sie wieder wie 2006 und 2007 versuchen, nur wenig abzuschlagen oder geht es dann nicht tiefer bergab? Mit dem Verzicht auf den Zwischenhandel setzt man sich den Unbillen des Marktes möglicherweise sogar stärker aus. Das System des Zwischenhandels garantiert in allen Jahren den Absatz. Bei der nächsten Erschütterung des Marktes (Griechenland !!!) stehen die Chateaus alleine mit den Händlern da, die der Verdrängungswettbewerb noch übrig gelassen hat.

Spannende Entwicklung, für uns aber leider nur als Zaungäste :D :shock:

Grüße,

wolf

P.S. Jane Anson ist sehr engagiert in der Frage. Lies hier: http://www.newbordeaux.com/documents/39.html
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
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UlliB

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Re: Die Zukunft des Weinvertriebs im Bordelais

BeitragSo 19. Jun 2011, 19:35

Die Preisdiskussion wird man vermutlich ewig weiterführen können - aber eigentlich gehört sie nicht hierhin; hier soll es um den Vertrieb gehen.

Auch hier im Forum scheinen es die meisten Leute bereits als gegeben zu nehmen, dass Oberklasse-Bdx sich im Segment der Luxusartikel dauerhaft etablieren wollen und das auch können. Ich habe daran immer noch gewisse Zweifel, aber nehmen wir es einfach einmal als gesetzt an: dann wird man diese Weine auf der Endstufe des Vertriebs auch als Luxusgut präsentieren müssen, um dauerhaften Erfolg zu haben.

Zumindest in Europa bewirkt das auf der letzten Handelsstufe enormen Nachholbedarf, denn momentan präsentiert sich der Weineinzelhandel im besten Fall als bürgerlich-solide, meistens aber doch eher als billig bis hin zu einigermaßen schmierlappig. So wird das aber auf Dauer nicht funktionieren: Luxusartikel müssen in einem angemessenen Rahmen präsentiert und adäquat vermarktet werden, z.B. auch duch massiven Einsatz von VIPs und entsprechende Events - sonst funktioniert das Geschäft nicht auf Dauer.

Dass so etwas durchaus möglich ist, zeigt das Beispiel Champagner. Davon ist das Bordelais aber noch Welten entfernt; außer ein paar meist ziemlich lausig gestalteten Bildanzeigen in einschlägigen Weinzeitschriften ist im Marketing im Prinzip so gut wie gar nichts los. Vor allem: man wird für Marketing auch Geld ausgeben müssen, was unter anderem bedeutet, dem Handel (der am Ende einen wesentlichen Teil der Marketingkosten tragen muss) auch deutlich größere Margen einzuräumen. Gleichzeitig muss man die als Luxusartikel gedachten Weine wirksam der breiten Verteilung und so weit wie möglich auch dem Sekundärhandel entziehen.

Das sind aber alles ziemlich fundamentale Veränderungen für das Bordelais , und es muuss sich erst einmal zeigen, ob man das auch kann (so man es denn überhaupt will).

Gruß
Ulli
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octopussy

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Re: Die Zukunft des Weinvertriebs im Bordelais

BeitragSo 19. Jun 2011, 20:06

Hallo zusammen,

erstmal danke für die Gedanken.

Was ich nicht ganz verstehe, ist Folgendes: Zwischen den Châteaux und dem Endverbraucher liegen nach meinem Verständnis drei Vertriebsstufen: der Courtier, der den Verkauf an die Négotiants vermittelt (kein eigener Kapitaleinsatz), der Négotiant, der auf eigene Rechnung kauft und auf eigene Rechnung an die Händler weiterverkauft (voller Kapitaleinsatz) und der Händler, der ebenfalls auf eigene Rechnung kauft und auf eigene Rechnung an den Endverbraucher weiterverkauft (ebenfalls voller Kapitaleinsatz). Außen vor gelassen habe ich mal Investoren, die aufkaufen und später auf dem Sekundärmarkt verkaufen. Ich bitte um Berichtigung, wenn das Verständnis falsch ist. Ich bin mir z.B. nicht sicher, ob Négotiants und Händler tatsächlich volles Risiko gehen müssen oder ob nicht verkaufte Mengen auch nicht abgenommen werden müssen.

Wofür braucht man z.B. die Courtiers? Für ein paar Telefonate innerhalb des Place Bordeaux können die doch eigentlich nicht ernsthaft 20% Provision einstreichen? Oder ist deren Rolle doch komplexer?

An Stelle der Châteaux und auch an Stelle von Händlern (große Händler) würde ich doch versuchen, eine oder sogar zwei dieser Vertriebsstufen/Kostenpositionen zu überspringen. Nur mal angenommen, es tritt ein großer Investor aus einem neuen Markt wie China in den Markt und telefoniert 250 Châteaux ab, bietet an, große Mengen abzunehmen, aber direkt ohne Courtier und Négotiant. Der Preis entspricht dem Preis, den der Händler an den Négotiant zahlen müsste. Von den gesparten Provisionen (Courtier) bzw. Marge (Négotiant) bekommt meinetwegen das Château 75% und der Investor 25%, dieser zahlt also 25% weniger als er an den Négotiant zahlen müste. Das wäre doch ein super Geschäft für beide Parteien. Haben die Courtiers und die Négotiants so eine Marktmacht, dass die Châteaux das bestehende System nicht aufs Spiel setzen wollen?
Beste Grüße, Stephan
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UlliB

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Re: Die Zukunft des Weinvertriebs im Bordelais

BeitragSo 19. Jun 2011, 20:42

octopussy hat geschrieben:Wofür braucht man z.B. die Courtiers? Für ein paar Telefonate innerhalb des Place Bordeaux können die doch eigentlich nicht ernsthaft 20% Provision einstreichen? Oder ist deren Rolle doch komplexer?


Der Courtier bekommt keineswegs 20%, sondern etwa 2%, wie auch aus dem weiter oben verlinkten Artikel zu ersehen ist. Und auch die Negociants nehmen nicht 15%, sondern eher 10%. Ex-Chateau-Preise sind nicht ganz so einfach zu finden wie ex-Negociants-Preise, aber mit etwas Mühe findet man sie schon - und dann ist ersichtlich, dass die gesamte Handelskette in der Subskription rund 30% einstreicht, was sehr wenig ist. Dass der Endverbraucher die gesamte Mehrwertsteuer trägt und dass das das Bild am Ende deutlich verzerrt, sei nur am Rande erwähnt.

Auf dem Papier sieht es immer unheimlich verlockend aus, als Erzeuger die Margen aller Handelsstufen auch noch einzustreichen; Stichwort: vertikale Integration. In der Praxis macht das aber kaum jemand, auch nicht außerhalb des Weinbereichs. Denn abgesehen vom damit verbundenen Vertriebsrisiko muss man von dem Geschäft auf der jeweiligen Stufe auch etwas verstehen, und das setzt langjährige Erfahrung voraus. Schließlich geht es auch darum, nicht nur Jahrgänge wie 2010 oder 2009 zu verteilen, sondern auch Jahrgänge wie 2007 oder - horribile dictu - 1992 möglichst spurlos im Markt verschwinden zu lassen. Das hat das bestehende System bislang absolut reibungslos geleistet.

Gruß
Ulli
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