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Re: Bordeaux 2022

Do 25. Mai 2023, 22:29

Leute, es ist nur Wein...seien wir doch froh, dass es eine Vielfalt von Verkostereindrücken gibt, und dass unterschiedliche Bewertungen -im Fall von Pontet Canet sogar gut begründbar- nebeneinander stehen. Einer hält diesen Wein für einen ganz großen Bordeaux, ein anderer für einen Gigondas (was auch am ehesten meinen subjektiven Eindrücken entspricht), und wieder ein anderer für einen Kalifornier. Wenn da alle gleichermaßen 98-100P geben würden, dann würde ich mir mehr Sorgen machen.

Absurd und unsouverän wird es aber aus meiner Sicht, wenn ein Verkoster den anderen Verkoster für seine Eindrücke und seine Benotung kritisiert. Das ist ganz sicher nicht die Aufgabe eines Weinverkosters! Wenn Herr van Velsen und Herr Hilse den Wein bei 98-100 sehen, dann ist das absolut fein und steht für sich, aber Kelley für seine 93P zu kritisieren ist unangemessen.

Re: Bordeaux 2022

Do 25. Mai 2023, 23:57

sorgenbrecher hat geschrieben:Kelley für seine 93P zu kritisieren ist unangemessen.
Habe ich nicht so verstanden.

Kelley darf den Wein wegen empfundener Atypizität oder sonstigen Gründen abwerten. Und das Weingut darf sagen, dann wollen wir dem Herrn Kelley den Wein en primeur auf dem Weingut nicht länger zumuten. Ist doch alles grün.

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 07:08

jessesmaria hat geschrieben:Wenn ich dann bei Lobenberg schaue, gleicher Wein, ganz andere Punktzahlen:
... anscheinend werden sämtliche kritischeren bzw nicht-inflationären Bewerter – nicht nur WA/Parker – einfach stillschweigend übergangen. Das ist ja mal der Gipfel an Intransparenz!

Das ist gängige Praxis bei Lobenberg, ist auch schon länger so.

Der Interessenskonflikt Händler/Verkoster wird vor allem bei den Weinen deutlich, die Lobenberg exklusiv hat.
Dazu ein schönes Beispiel im von Rainer verlinkten Katalog von Bettane/Desseauve:
Winedom hat geschrieben:Ich habe mir jetzt als Gegenstück nochmal den vor ein paar Seiten eingestellten Verkostungskatalog
von Bettane und Desseauve angeschaut. Da komme ich von der Punkteorientierung klar und es relativiert auch einige/viele Bewertungen von Lob.
Stell den Link nochmal ein.
https://www.mybettanedesseauve.fr/borde ... eurs-2022/

Zum Teil (bei ca. 30 Weinen in seinem Sub 22 Booklet) führt Lobenberg die Bettane-Bewertungen mit auf. "Ausgerechnet" bei seiner Exklusivposition Chateau Coutet Cuvée Demoiselle 2022 (Bewertung 100+) vergisst er die Bettane Bewertung (92-93):
https://www.gute-weine.de/produkt/chate ... 22-55937h/

Hier die Bettane Verkostungsnotiz aus dem Katalog:
Château Coutet, Les Demoiselles, saint-émilion grand cru
La grande cuvée issue de vignes octogénaires qui donnent au vin une structure en même
temps qu’un raffinement digne d’éloges. La vitalité du fruit et la profondeur ouvrent de
belles perspectives.
92-93

Die Verkostungsnotiz klingt ja gar nicht schlecht, passt aber halt nicht zu 100+.

Viele Grüße,
Max

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 07:51

maxilian7 hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:Wenn ich dann bei Lobenberg schaue, gleicher Wein, ganz andere Punktzahlen:
... anscheinend werden sämtliche kritischeren bzw nicht-inflationären Bewerter – nicht nur WA/Parker – einfach stillschweigend übergangen. Das ist ja mal der Gipfel an Intransparenz!

Das ist gängige Praxis bei Lobenberg, ist auch schon länger so.

Das ist nicht nur bei Lobenberg so. Auch andere Händler (z.B. Unger) zitieren weniger positive Bewertungen nicht.

Das ist nicht Intransparenz, sondern ganz einfach Marketing. Da ist zwar eine direkte Falschinformation verboten, aber zu völliger "Transparenz" ist man keineswegs verpflichtet.

Was Lobenberg und die Bewertungen seiner Exklusivitäten oder Fast-Exklusivitäten betrifft, ist die Situation allerdings schon ziermlich krass. Ein weiteres Beispiel ist Clos Manou: Lobenberg bewertet mit 98-100, verbunden mit einem wirklich heftigen Seitenhieb auf Kelley, der es gewagt hat, den Wein nur mit 91-93 zu bewerten. B/D vergeben nur 90 Punkte, und der hier wenig beachtete, aber aus meiner Sicht durchaus kompetente Colin Hay 91-93, und liegt damit gleichauf mit Kelley. Auf Augenhöhe mit den absoluten Toperzeugern des linken Ufer sieht den Wein eigentlich gar kein Verkoster außer Lobenberg und sein Buddy Gerstl. Hier in der Gegend würde man sagen, "die Sach hat ein Gschmäckle".

Gruß
Ulli

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 08:30

UlliB hat geschrieben:
maxilian7 hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:Wenn ich dann bei Lobenberg schaue, gleicher Wein, ganz andere Punktzahlen:
... anscheinend werden sämtliche kritischeren bzw nicht-inflationären Bewerter – nicht nur WA/Parker – einfach stillschweigend übergangen. Das ist ja mal der Gipfel an Intransparenz!

Das ist gängige Praxis bei Lobenberg, ist auch schon länger so.

Das ist nicht nur bei Lobenberg so. Auch andere Händler (z.B. Unger) zitieren weniger positive Bewertungen nicht.

Das ist nicht Intransparenz, sondern ganz einfach Marketing. Da ist zwar eine direkte Falschinformation verboten, aber zu völliger "Transparenz" ist man keineswegs verpflichtet.

...
Gruß
Ulli

Guten Morgen,
da es neben den Bewertungen aus Primeurverkostungen nun auch zunehmend solche zur Arrivage gibt, verhält es sich bei manchen Weinen - insbesondere, wenn "zwischendrin" der Verkoster wechselt - wie bei Bucheditionen: es kommt auf die "Ausgabe" oder den Zeitpunkt an. Die wenigsten Händler vermerken, von wann eine Bewertung stammt oder von wem. Gerade beim Wine Advocate sieht man leicht, dass "WA" kaum zur eigenen Calibrierung hinreicht, wenn in deren eigenen Stall so große degustatorische Diskrepanz herrscht. Ähnlich nun auch beim Decanter. Bei Vinous ja sowieso....
Ich vermeide das hier normalerweise tunlichst, aber in diesem Fall erlaube ich mir, einen Link zu https://www.aux-fins-gourmets.de/jahrgang/bordeaux-2019/chateau-pontet-canet-2019.html in meinem Webshop zu setzen.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 08:42

UlliB hat geschrieben:
maxilian7 hat geschrieben:
jessesmaria hat geschrieben:Wenn ich dann bei Lobenberg schaue, gleicher Wein, ganz andere Punktzahlen:
... anscheinend werden sämtliche kritischeren bzw nicht-inflationären Bewerter – nicht nur WA/Parker – einfach stillschweigend übergangen. Das ist ja mal der Gipfel an Intransparenz!

Das ist gängige Praxis bei Lobenberg, ist auch schon länger so.

Das ist nicht nur bei Lobenberg so. Auch andere Händler (z.B. Unger) zitieren weniger positive Bewertungen nicht.

Das ist nicht Intransparenz, sondern ganz einfach Marketing. Da ist zwar eine direkte Falschinformation verboten, aber zu völliger "Transparenz" ist man keineswegs verpflichtet.


Ich finde das dennoch eine Unverschämtheit. Gerade wenn man so viele Bewertungen listet, wie in diesem Fall, vermittelt man den Eindruck, einen repräsentativen Überblick zu geben. Hinzu kommt, dass Lobenberg ja auch selbst bewertet und, wenn auch inflationär, logischerweise nicht immer gleich hoch. Nicht allzu gute Bewertungen im unteren 90er Bereich sind also systemisch durchaus vorgesehen. Aber ich verstehe langsam, dass man seine Bewertungen, zumindest die Punktzahlen, wirklich zu 100% knicken kann. Sie ermitteln sich ganz einfach proportional zum Preis. "93 Punkte" bedeutet also ganz einfach: der Wert dieses Weins entspricht genau dem Preis (vllt. in dem Fall 20€), den du dafür zahlst und ist daher ein guter Kauf. Ich habe mal noch als Schüler ein Praktikum in einer Druckfirma gemacht und da wurde uns erklärt, dass man die Verpackungen von Discount-Produkten mit weniger Farben druckt und so bewusst "schlechter" designt, da der Kunde sie sonst nicht kaufen würde (Erscheinungsbild und Erwartung müssen korrelieren). Das ist wohl genau der Mechanismus bei den Weinpunkten der Weinhändler, ein Wein mit 93 Punkten – selbst von einem anderen Verkoster (!) – für über 100€ ist also wohl systemisch nicht möglich. Schade.

Ich erwarte genau das von einem Kritiker, was der Name sagt, ein kritisches Urteil. Wenn ich bei einer Buchrezension wüsste, dass der Rezensent das Buch möglichst häufig verkaufen wollte und daher auf jeden Fall nur Positives schreibt, hätten seine Rezensionen logischerweise überhaupt keinen Wert. Bei einem Fachbuch wären sie zudem ganz unwissenschaftlich und geradezu skandalös.

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 09:00

jessesmaria hat geschrieben:Ich finde das dennoch eine Unverschämtheit.

Das kann man so sehen. Nützt nur nichts.

Natürlich kann man daraus die Konsequenz ziehen, bei dem Händler einfach nichts zu kaufen. Aber das tun viele dann doch nicht, weil man da auch Einzelflaschen ohne Aufpreis subsen kann; der Service inzwischen wieder sehr gut ist; es einige Weine, die man gerne haben möchte, nur da gibt; man als Stammkunde mit Mindestumsatz 10% Rabatt auf lieferbare Weine bekommt und die Preise dann auch im Vergleich mit anderen Händlern attraktiv sind, etc. pp.

Aber ich verstehe langsam, dass man seine Bewertungen, zumindest die Punktzahlen, wirklich zu 100% knicken kann. Sie ermitteln sich ganz einfach proportional zum Preis.

Nicht ganz. Die Punkte sind proportional zu seiner Marge. Die ist natürlich um so höher, je höher der Preis des Weines ist. Aber hier kommen jetzt die Exklusivitäten ins Spiel, bei denen man annehmen kann, dass die prozentuale Marge wesentlich höher ist als die im Primeurgeschäft sonst üblichen und eher mageren ca. 15% auf den ex-nego-Preis. Da ist es wirtschaftlich betrachtet sehr interessant, diese Weine ganz besonders zu pushen.

Gruß
Ulli

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 09:22

UlliB hat geschrieben:Die ist natürlich um so höher, je höher der Preis des Weines ist. Aber hier kommen jetzt die Exklusivitäten ins Spiel, bei denen man annehmen kann, dass die prozentuale Marge wesentlich höher ist als die im Primeurgeschäft sonst üblichen und eher mageren ca. 15% auf den ex-nego-Preis


Das ist definitiv so. Ich weiß das zufällig von Bürklin-Wolf. Der Händlerpreis des Kirchenstücks lag 2020 bei 100€, der EVP bei 200€. Beim Ungeheuer desselben Jahrgangs nur 50€ gegenüber 75€, also schon 50% Marge weniger. Bei den günstigeren Orts- und Gutsweinen geht's aber wieder auf um die 100% hoch, da dürfte man als Händler wohl prozentual auch gut dran verdienen, wenn auch in absoluten Zahlen natürlich viel weniger.
(Sorry für OT)

Natürlich kann man daraus die Konsequenz ziehen, bei dem Händler einfach nichts zu kaufen.


Das macht man natürlich auch aus purem Eigeninteresse... Nützlicher bzw. zur Aufklärung dienlicher wäre vielleicht eine Datenbank (natürlich ohne angeschlossenen Shop), die sämtliche Profi-Bewertungen aller Weine ungefiltert listet. Gäbe es die und wäre sie ausreichend bekannt, würde den Händlern ihre manipulative Auswahl der Kritiken nichts mehr bringen.

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 10:01

jessesmaria hat geschrieben:Nützlicher bzw. zur Aufklärung dienlicher wäre vielleicht eine Datenbank (natürlich ohne angeschlossenen Shop), die sämtliche Profi-Bewertungen aller Weine ungefiltert listet. Gäbe es die und wäre sie ausreichend bekannt, würde den Händlern ihre manipulative Auswahl der Kritiken nichts mehr bringen.

Für Bordeaux gibt es so etwas in der Art durchaus: https://www.bordoverview.com/

Viele Grüße,
Max

Re: Bordeaux 2022

Fr 26. Mai 2023, 10:56

UlliB hat geschrieben:Nicht ganz. Die Punkte sind proportional zu seiner Marge. Die ist natürlich um so höher, je höher der Preis des Weines ist. Aber hier kommen jetzt die Exklusivitäten ins Spiel, bei denen man annehmen kann, dass die prozentuale Marge wesentlich höher ist als die im Primeurgeschäft sonst üblichen und eher mageren ca. 15% auf den ex-nego-Preis. Da ist es wirtschaftlich betrachtet sehr interessant, diese Weine ganz besonders zu pushen.

Gruß
Ulli



Danke. Das macht es schlüssig.

PS: Leoville Barton geht schon zur Neige.
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