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Bordeaux 2022

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2022

BeitragDi 30. Mai 2023, 20:05

Historisch gesehen wurde in Saint-Emilion seit "Inkrafttreten" der dortigen Klassifikation "von oben" gedacht. Dies hätte konsequenterweise einen Monotheismus statt des von Anbeginn geläufigen Dualismus aus Ausone und Cheval Blanc zum Grunde haben müssen. Als dann später die "Garagenweine" um Mondotte und Valandraud (neben Rol Valentin et al) Preisregionen austesten konnten, die "denen mit B" verwehrt waren, wurde zum ersten Mal klar, dass die Befreiung nicht in der höchsten Stufe der Klassifikation, sondern gerade in deren Umgehung oder Transzendierung zu finden sein würde.
Daher ist (nach meiner Einschätzung) die Klassifikation in Saint-Emilion geschwächt, seit man die hiesigen Bestrebungen zur Kenntnis nehmen konnte, dem klassenlosen Beispiel des Nachbarn Pomerol (mit seinen sagenhaften Preisen für Petrus, Lafleur und Le Pin) Paroli zu bieten.
Wenn nun Cheval Blanc weder als klassifiziertes Gut auftritt, noch sich um den Status der Appellation schert (Cheval Blanc 2022 ist ein einfacher Saint Emilion!), ist leicht ersichtlich, dass es völlig wurscht ist, ob man es mit einem "Grand Cru Classé" zu tun hat oder nicht.
Insofern sind die Preismigrationen in Saint-Emilion sehr interessant zu beobachten.

Für den hiesigen Verbraucher ist die Sache nun denkbar einfach, sofern er z.B. keinen Narren an Tour Saint Christophe u.ä. gefressen hat. Ob der Wein nun in, während oder nach der Subskription "verramscht" werden wird, ist im Wesentlichen eine Frage der Kompetenz der Händler.

Wenn sich die Aussteiger in Saint-Emilion (Ausone, Angelus, Cheval Blanc und Gaffeliere) dergestalt durchsetzen, dass es den Anschein hat, die Klassifikation sei eher ein Hindernis im Hinblick auf die eigene Preisautonomie, wird es fürderhin kaum noch eine Rolle spielen, in welchem "Adelsstand" ein Weingut geführt wird.

Dumm für die Klassifikaton: jeder einzelne dieser 4 Weine ist ein Meilenstein in 2022.

Wer nun seine Seelenruhe gefährdet sieht ob Saint Emilions, die doch preislich arg den Bock abschießen, dem sei versichert, dass mit Laroque und Lassegue zwei Kandidaten warten, von der Aufmerksamkeit der Menge wachgeküsst zu werden.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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Zaccetti

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 09:07

de Pressac im Handel für 35 Euro, +15% gegenüber 2020 bei etwa gleich starken Bewertungen der Profis


Edith:
Kirwan auch drausen im Handel für 51 Euro (da fühlt sich der "Du Tertre" für ein 10er weniger direkt als schnäppchen an)
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UlliB

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 10:02

Zaccetti hat geschrieben:Kirwan auch drausen im Handel für 51 Euro

Irgendwas um die 20% plus*; ich habe da keine ex nego-Preise. In Margaux scheint man preislich etwas nachholen zu wollen. Und ja, du Tertre schaut da vergleichsweise günstig aus...

Übrigens wurde Kirwan von den Profis wirklich sehr heterogen bewertet. Muss wohl am Stil liegen.

Gruß
Ulli

*Edit: laut bordoverview.com plus 23%
Zuletzt geändert von UlliB am Mi 31. Mai 2023, 12:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Herr S.

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 10:25

Matthias Hilse hat geschrieben:Wer nun seine Seelenruhe gefährdet sieht ob Saint Emilions, die doch preislich arg den Bock abschießen, dem sei versichert, dass mit Laroque und Lassegue zwei Kandidaten warten, von der Aufmerksamkeit der Menge wachgeküsst zu werden.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse


Lieber Herr Hilse,

danke für Ihre Ausführungen. Bei einem geschätzten Kollegen ihrer Zunft lese ich zu beiden Weinen etwas von Port-/Amaronenoten bzw. Kirchenbank, allesamt für mich nicht wirklich etwas, dass ich in derartigen Weinen präferiere, auch wenn eine entsprechende Frische dem entgegensteht. Ich verharre weiterhin im Wartemodus.

Viele Grüße,
Björn
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"Not that we needed all that for the trip, but once you get locked into a serious drug-collection, the tendency is to push it as far as you can." (Hunter S. Thompson, Fear and Loathing in Las Vegas)
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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 11:00

Herr S. hat geschrieben:Lieber Herr Hilse,

danke für Ihre Ausführungen. Bei einem geschätzten Kollegen ihrer Zunft lese ich zu beiden Weinen etwas von Port-/Amaronenoten bzw. Kirchenbank, allesamt für mich nicht wirklich etwas, dass ich in derartigen Weinen präferiere, auch wenn eine entsprechende Frische dem entgegensteht. Ich verharre weiterhin im Wartemodus.

Viele Grüße,
Björn

Man sieht ja am gerade erschienenen Kirwan, wie die sinnliche Wahrnehmung der einzelnen Kritiker voneinander abweicht. Insofern ist es sinnvoll, sich an den Meinungen zu orientieren, die für das eigene Empfinden die höchste Relevanz haben - sofern man diese benennen kann.

Ich versuche, den Begriff "Kirchenbank" einzuordnen und bin erstaunt, wie diese beiden Weine, die nun widerum unterschiedlicher kaum sein könnten, mit den Sitzgelegenheiten in einer Institution, die schon bessere Zeiten erlebt hat, assoziiert werden. Darauf muss man auch erst einmal kommen.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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UlliB

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 11:09

Herr S. hat geschrieben:... Kirchenbank ...

Protestantisch oder katholisch?

:mrgreen:

Gruß
Ulli
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EThC

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 11:32

Matthias Hilse hat geschrieben:Ich versuche, den Begriff "Kirchenbank" einzuordnen und bin erstaunt, wie diese beiden Weine, die nun widerum unterschiedlicher kaum sein könnten, mit den Sitzgelegenheiten in einer Institution, die schon bessere Zeiten erlebt hat, assoziiert werden. Darauf muss man auch erst einmal kommen.
...als privater Verkoster kann man's sich ja durchaus auch erlauben, Assoziationen ins Spiel zu bringen, die sehr persönlich geartet sind und sich deshalb nicht unbedingt jedermann erschließen. Mach ich ja auch, obwohl mir schon klar ist, daß allenfalls eine klägliche Minderheit der ambitionierteren Weingenießer sich vorstellen kann, wie's z.B. an der Nachtrockenpartie einer Papiermaschine für Dekorpapier riecht.
Mit Kirchenbänken kann ich als Materialist (so der Name meiner Schublade aus Sicht der katholischen Theologie für die verschiedenen Spielarten der Ungäubigen) nur wenig verbinden, kann aber verstehen, wenn man persönlich damit etwas Geruchliches assoziiert, ob traumatisch oder aus erfreulicheren Erfahrungen, sei mal dahingestellt...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 13:02

Château Kirwan 2022:

"Aus einem Tumult von Margauxeindrücken ragt der Kirwan, der nicht nur im Alphabet keinen neben sich weiß, heraus in der schillernden Stille seiner atemlosen Frische.

Anders als die Vielen, die ihr Heil in der Thematisierung von Fülle und Üppigkeit suchen und noch dort ihr Signet hinterlegen, wo es sich bereits hinreichend drängt, blüht der reinste Margaux jenseits des transzendenten Namensgebers der Appellation auf in seiner einzigartigen Vita aus Eleganz und Erhabenheit.

Es ist das Verdienst von Philippe Delfaut, der aus der diametralen stilistischen Opposition von Palmer zu Chateau Kirwan kam, inmitten der prominent besetzten dritten Adelsklasse in Margaux einen Wundergarten an aromatischer Präzision und märchenhafter Finesse gedeihen zu lassen und so einer Welt, die schon voller Margaux's ist, doch noch etwas Neues und ganz Eigenständiges zu bieten.

Mit Kurt Tucholsky's "Es gibt tausend Arten von Lärm, aber nur eine wirkliche Stille" assoziiere ich Chateau Kirwan, der die vinophile Einladung zu innerer Einkehr und Besinnung auf das Wesensnotwendige ist...."

Man kann es jedoch, siehe Leve und Kelley, auch ganz anders sehen. Ich wüßte wahrlich nicht, wie man in der mittleren Preisklasse Margaux besser interpretieren kann als bei Ferrière und eben bei Kirwan.

Wer das Ganze mit etwas mehr "Kilowatt" haben möchte, wird es zu ca.dem doppelten Preis beim schonungslos gelungenen Brane Cantenac bekommen.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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UlliB

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 13:38

Die letzten beiden Jahrgänge von Kirwan, die ich im Glas hatte, waren 2015 und 2016. Beide waren euphemistisch ausgedrückt im jeweiligen Jahrgangskontext sehr schlank; etwas unfreundlicher ausgedrückt, für ein cru classé schon arg mager. Da warte ich dann doch lieber auf Brane Cantenac und hoffe, dass der noch unter 100 € bleibt und damit nicht ganz das doppelte wie der Kirwan kostet.

Ach, und nur am Rande: im Französischen gibt es bei Margaux (ebenso wie bei Bordeaux) keine Pluralform, Singular und Plural sind identisch: ein Margaux, mehrere Margaux. Wenn man jetzt unbedingt meint, da in einem deutschen Text beim Plural noch ein s anhängen zu müssen, dann doch bitte ohne Deppenapostroph. Das tut ja im Auge weh :|

Gruß
Ulli
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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2022

BeitragMi 31. Mai 2023, 13:51

UlliB hat geschrieben:...
Ach, und nur am Rande: im Französischen gibt es bei Margaux (ebenso wie bei Bordeaux) keine Pluralform, Singular und Plural sind identisch: ein Margaux, mehrere Margaux. Wenn man jetzt unbedingt meint, da in einem deutschen Text beim Plural noch ein s anhängen zu müssen, dann doch bitte ohne Deppenapostroph. Das tut ja im Auge weh :|

Gruß
Ulli

Der "Deppenapostroph" ist dort bewusst angesiedelt, weil ich mir erlaube, jenseits der Norm der Vielfalt im Plural Ausdruck zu verleihen. Sehen Sie es als Apercu.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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