Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 22:30


Médoc 2022

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
  • Autor
  • Nachricht
Offline
Benutzeravatar

small talk

  • Beiträge: 250
  • Registriert: Mi 19. Feb 2020, 10:04
  • Wohnort: Bégadan (F)

Médoc 2022

BeitragSo 20. Mär 2022, 16:54

An dieser Stelle werde ich zu den Entwicklungen des Jahrgangs 2022 schreiben. Da sich vieles auf unser Chateau hier in Médoc bezieht, habe ich auch im Titel diese Eingrenzung gemacht.
Der Winter war sehr trocken. Es gab eine kleine Regenperiode im Dezember und nochmal 20 mm im Februar. Das ist viel zu wenig. Seit dem Februar-Regen sind die Gräben zwar voll, mit Beginn der Vegetation ist das aber schnell aufgebraucht. Nachts gab es Fröste, jedoch keinen tagsüber – den ganzen Winter war es nicht wirklich kalt … Trockene Böden wärmen sich schneller auf – kühlen jedoch auch schneller wieder ab.
Jetzt es geht los. Die ersten Knospen öffnen sich. In 10 Tagen werden die ersten Blätter entfaltet sein.
220320-1177_Merlot Knospen-2.JPG
Merlot Konspe

Im Enclos blühen auch schon die ersten Orchideen zwischen den Reben.
220320-1176_Orchis morio Enclos-4.JPG
Orchis morio / Kleines Knabenkraut

Bisher ist alles im normalen zeitlichen Rahmen.
Für die nächsten Tage sind milde Temperaturen von 16 bis 20° angekündigt und es soll weiter trocken bleiben.

Im Markt tun sich erhebliche Verwerfungen auf.
Nachdem während der letzten zwei Jahre die Gastronomie durch Corona-Maßnahmen als Marktsegment so gut wie ausgefallen ist kam es durch Verschiebungen in der Weinnachfrage zu teils erheblichen Verwerfungen zwischen den Segmenten (Zuhause wird wenn überhaupt anderer Wein getrunken als im Restaurant). Der Großhandel am ‚Place Bordeaux‘ hatte die Preise gedrückt, für alles was nicht zu den Grand Crus Classé gehört. Da blieb einem nicht-GCC nur der Verkauf teils unter Gestehungskosten oder die Verabschiedung von diesem Handelsplatz. Kollegen, die sich ausschließlich auf diesen Handelsplatz verlassen hatten, stecken entweder in ernsthaften Schwierigkeiten oder haben aufgegeben. Einige Châteaux haben die Bewirtschaftung eingestellt andere wurden verkauft.
Jetzt – zu Beginn 2022 – finden wir uns mit einem völlig anderen wirtschaftlichen Umfeld wieder. Die Kostensteigerungen für Produktionsmittel scheinen außer Kontrolle zu sein. Steigerungen von 5 % sind harmlos, 15 – 40 % ist das neue ‚normal‘ und es dürfen auch schon mal 100 oder mehr % sein - sky ist the limit…
Das ist bei dieser Nachfragesituation eine weitere ganz andere Verwerfung auf der Angebotsseite. Wie soll das noch zusammenpassen?
Schon jetzt ist offensichtlich ist, dass der 2022er Jahrgang mit einer Kostensteigerung von 20-35 % in der Produktion belegt wird. Daran können die Châteaux nix machen. Bei den GCC sollte das im ‚Grundrauschen‘ verschwinden (können), denn mit produktionswirtschaftlicher Realität haben dort die Preisgestaltungen schon länger nichts zu tun. Ein Aufkäufer riet mir mit dem Barriqueausbau aufzuhören, dann könnte ich den Wein zu einem niedrigeren Preis anbieten und doch noch am Place Bordeaux verkaufen. Diese Einstellung macht klar, dass mit zweierlei Messlatten gearbeitet wird, die diese Diskrepanz nur vergrößern. Die eigenen Vorstellungen durchzusetzen ist nicht immer einfach, aber wenigstens weiß man dann, wo der Hase im Pfeffer liegt.
Zuversichtlich gehe ich diesen 2022er an.

Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken.
Offline

maxilian7

  • Beiträge: 62
  • Registriert: Mi 17. Nov 2021, 12:24

Re: Médoc 2022

BeitragMo 21. Mär 2022, 10:00

Vielen Dank Stefan, dass du uns auch dieses Jahr wieder an deiner Arbeit teilhaben lässt!
Ich freue mich auf deine Berichte und drücke euch die Daumen für einen erfolgreichen Jahrgang!

Viele Grüße, Max
Offline

pessac-léognan

  • Beiträge: 825
  • Registriert: Fr 11. Jan 2019, 10:57

Re: Médoc 2022

BeitragMo 21. Mär 2022, 15:33

Auch von mir herzlichen Dank, Stefan! Deine Infos sind sehr wertvoll, sowohl was das Botanische als auch was das Ökonomische betrifft. Das gefleckte Knabenkraut ist bei euch im Médoc etwa 3 Wochen früher als im Morvan auf gut 500 Meter Höhe. Schön, dass es bei dir zwischen den Reben dafür Platz hat. Es ist ein sehr guter Indikator für gesunde Böden und gedeiht hier im Parc naturel auf so gut wie allen Magerwiesen, teils massenhaft.
Etwas weniger erfreulich sieht offenbar die ökonomische Situation für euch Nicht-GCC-Winzer aus. Zeiten wie diese sind leider nicht dazu angetan, gute oder gar beste Qualität unterhalb des Luxussegments zu honorieren. Die Spreizung in Güter, die ihre Preise durchdrücken können, und jene, deren Preise auf dem Markt der Normalos gnadenlos gedrückt werden, geht so weiter, was auf Dauer auch für den Normalo nichts Gutes verheißt, nicht nur weil der von dir kolportierte Ratschlag, halt auf den Fassausbau zu verzichten, möglicherweise den CB-Bereich in eine (für die meisten Bdx-Liebhaber) nicht gerade erwünschte Richtung treibt...
Ich wünsche dir und deinen vielen No-Celebrity-Kollegen trotzdem bon courage et bonne chance auch für dieses Weinjahr.
Jean
Offline
Benutzeravatar

small talk

  • Beiträge: 250
  • Registriert: Mi 19. Feb 2020, 10:04
  • Wohnort: Bégadan (F)

Re: Médoc 2022

BeitragDi 22. Mär 2022, 08:43

Nun ja - die GCC machen schon über viele Jahre und verhältnismäßig kontinuierlich guten Wein. Das gibt dem Verbraucher die Sicherheit nicht daneben zu greifen (wenn das auch nicht immer - so doch meistens). So einen Ruf - vor allem auch in der Kontinuität des Qualitätsniveaus - sich zu erarbeiten kann durchaus honoriert werden. Auch die GCC haben auch ihre Herausforderungen. Da wurden Strukturen mit enormen laufenden Kosten aufgebaut. Die die aktuelle Inflation wird auch diese nicht verschonen. Aber in diesem Segment sind die Kunden ja entsprechende Preisaufschläge gewohnt…
Für uns sehe ich drei große Herausforderungen in diesem Jahr:
- Klimawandel
die aktuelle Trockenheit ruft in Erinnerung das Wetterextreme zum neuen Normal gehören werden. Das macht die Abwägung von Kultivierungsmaßnahmen schwierig. Da erwarte ich noch einige Überraschungen.
- Umweltauflagen
was da kommt mutet teilweise als Ergebnis einer Traumfabrik an - mitunter realitätsfremd. Das ist sehr schade, denn Umweltauflagen sich wichtig um Schäden zu internalisieren. Unternehmungen (betrieblich und privat) mit Auswirkungen auf die Umwelt sollten Belastungen nicht auf die Allgemeinheit abwälzen können.
Bisher habe ich mit den Umweltauflagen noch die geringsten Schwierigkeiten. So werden wir auch dieses Jahr weitestgehend auf Herbizide verzichten auch das Pflanzenschutzprogram geht weiter in die verträgliche Richtung, Düngung sowieso…
- Markt
die Verzerrung zwischen Preisdruck der Nachfrage und Inflationsdruck im Angebot (beides auch spekulationsbefeuert) wird Verwerfungen auslösen. Als ich gestern einem Makler erklärte, dass der 2022er schätzungsweise 30 % teurer sein wird – alleine wegen gestiegener Produktionskosten, hat ihn das nicht sonderlich überrascht - er bekommt ja selbst mit was an der Zapfsäule vor sich geht. Die Vorbereitung der Marktpartner auf diese Situation gleicht bisher jedoch dem Kaninchen-Schlange-Modell.
Diese Woche werden wir mit dem Rebschnitt fertig. An Nachpflanzen ist bei dieser Trockenheit nicht zu denken, also machen wir uns an den Rebanlagen zu schaffen. Mit jedem Tag wird es nun grüner auch die Bäume treiben aus. Die Vegetation wird die geringen Wasserreserven schnell aufbrauchen. Das wird die Unkrautbekämpfung einfacher machen…
Die nächsten Tage kommen Flaschen - viele LKW Ladungen - die abgeladen und irgendwo hingestellt werden müssen (auf Vorrat gekauft). Verschiedene Produktionsmittel sind aktuell nicht mehr zu bekommen, was es noch gibt ist gesichert. Für dieses Jahr 2022 sind wir gut aufgestellt – so weit ich das absehen kann.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken.
Offline
Benutzeravatar

small talk

  • Beiträge: 250
  • Registriert: Mi 19. Feb 2020, 10:04
  • Wohnort: Bégadan (F)

Re: Médoc 2022

BeitragSo 3. Apr 2022, 13:47

Kalt.
Zwar hatten wir diese Woche tagsüber gut über 20°C, die Nachttemperaturen waren jedoch sehr frisch. Das hat den Austrieb verzögert – zum Glück! Heute Morgen ging es runter bis an die 0°C - Grenze. Dazu geht ein kalter Wind aus Nordost. Die Nähe zum Wasser der Gironde bewahrte unser Rebanlagen vor Frostschäden. In den Reben ist bisher alles in Ordnung. Die Blätter entfalten sich zögerlich – auch das schützt.
220403-1178_feuilles-9.JPG
Merlot

Die kommende Nacht soll nochmal kritisch werden und die Gefahr für Spätfröste dauert noch einige Wochen.
Es ist weiter ungewöhnlich trocken. Die Wasserreserven im Oberboden sich so gut wie aufgebraucht. Das macht die mechanische Unkrautbekämpfung einfacher.
Diese Woche wurde Le Reysse 2019 abgefüllt – jede Menge Großflaschen, dass ich fast Muskelkater bekam. Draußen kommen die Arbeiten an den Rebanlagen gut voran. Die Schnecken trauen sich noch nicht richtig raus aus ihren Versteck. Die Trockenheit setzt denen gut zu
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken.
Offline

Olaf Nikolai

  • Beiträge: 1210
  • Bilder: 0
  • Registriert: So 23. Jan 2011, 16:01

Re: Médoc 2022

BeitragSo 3. Apr 2022, 19:47

Wie ordnest Du den 19er im Vergleich zum 16er und 10er ein?
Ist der 10er schon trinkreif oder sollte ich den noch liegen lassen?
Offline
Benutzeravatar

small talk

  • Beiträge: 250
  • Registriert: Mi 19. Feb 2020, 10:04
  • Wohnort: Bégadan (F)

Re: Médoc 2022

BeitragMo 4. Apr 2022, 11:17

In der zweiten Nachthälfte wurde es windstill und bei wolkenlosem Himmel ergab sich eine typische Strahlungsnacht. Morgens vielen hier die Temperaturen bis unter null und es bildete sich Raureif. Die frischen Austriebe blieben unbeschadet; das war knapp. Auf Parzellen an der Gironde, die schon weiter waren und die normaler weise sehr frostgeschützt liegen nahmen einige größere Blätter Schaden. Das ist bisher nur punktuell. Ob es zu einer nennenswerten Beeinträchtigung kommt, lässt sich noch nicht sagen.
220404-1179_Merlot-3.JPG

Das Bild hier ist der gleiche Austrieb - heute Morgen
Was Bordeaux-Weine groß macht ist ihre Fähigkeit zu Reisen und zu Altern/Reifen. Mit dem Reisen ist das mit der Umgebung noch relativ einfach zu bestimmen. Mit dem Reifen ist das schwieriger, denn der Reifegrad ist von persönlichen Präferenzen abhängig. Große Weine aus hervorragenden Jahrgängen können über viele Jahre reifen und bleiben überraschend lange in einem perfekten Zustand. Da braucht es gute Korken. Wie nun die Le Reysse 2010, 2016 und 2019 zueinander stehen kann ich nicht allgemeingültig sagen. Den 2010er würde ich persönlich auf jeden Fall noch liegen lassen. 2010 und 2016 haben sich schon ‚bewährt‘. So wie ich den 2019er einschätze wird ihm das auch gelingen. Er hat etwas weniger Alkohol (zwischen 13.5 und 14%) dafür die interessantere Säure (vor allem im Vergleich zum 2020er). Er ist also lebhafter und vielschichtiger. Das was nach der Abfüllung vom 2019er übrig geblieben ist, werde ich vielleicht nochmal in ein neues Barrique füllen. Die Sinnhaftigkeit eines zweiten Ausbaus nach ohnehin schon 2 jährigem Ausbau im neuen Barrique, wird vielleicht nicht jedem klar aber mit so kleinen Mengen kann man ja mal rumexperimentieren…
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken.
Offline

pessac-léognan

  • Beiträge: 825
  • Registriert: Fr 11. Jan 2019, 10:57

Re: Médoc 2022

BeitragMo 4. Apr 2022, 11:26

Danke, Stefan, für deine interessanten Ausführungen gestern und heute, zu den zarten Pflanzen und den lang haltbaren Weinen. Den meisten Weinliebhabern ist ja oft nicht klar, was alles einem guten Wein 'vorausgeht', bis hin zu Väterchen Frost, der bisweilen ungnädig und zerstörerisch sein kann.
Gruß
Jean
Offline
Benutzeravatar

small talk

  • Beiträge: 250
  • Registriert: Mi 19. Feb 2020, 10:04
  • Wohnort: Bégadan (F)

Re: Médoc 2022

BeitragMo 4. Apr 2022, 19:23

Wenn das alles so einfach wäre...
Aus dieser Frostnacht könnten wir nochmal mit einem 'Blauen Auge' davon gekommen sein.
Letztes Jahr hat es uns am 3. Mai auf zwei Parzellen erwischt. Es sind also noch ein paar Wochen bis die Spätfrostgefahrperiode überstanden ist. Es ist schlicht zu trocken - auch das macht es nicht einfach.
Wenn der Bordelaiser Großhandel mir vorhält, dass meine Preise zu hoch sind (das übliche Lied) und ich ihm erkläre, dass die Weine doch 30 % günstiger sind als alles was ab jetzt produziert werden kann, trennen uns Welten und Keiner will es verstehen.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken.
Offline

Olaf Nikolai

  • Beiträge: 1210
  • Bilder: 0
  • Registriert: So 23. Jan 2011, 16:01

Re: Médoc 2022

BeitragMo 4. Apr 2022, 20:22

Vielen Dank für die Einschätzung vom 10er, 16er und 19er.
Ich habe meine Bedenken zum Thema ausgedehnter Neuholzfassausbau.
Beispiel der 19er Sociando der mir als Fassprobe im Juni 2020 ausgezeichnet, weil traumhaft fein fruchtbetont, gefallen hat. Der Wein präsentiert sich aktuell auch am 3. Tag nach dem Öffnen Ausbau bedingt geradezu fruchtkastriert verschlossen. Schade um das Ausgangsmaterial. Ich bilde mir ein, ein übermäßiger Neuholzausbau tötet Frucht und verzerrt unnötig der Charakter der Frucht, denn das ist es ja im Grunde was ins Glas soll....oder?
Nächste

Zurück zu Bordeaux und Umgebung

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen