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Bordeaux 2020

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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TOM

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Bordeaux 2020

BeitragFr 3. Apr 2020, 15:44

Da ich noch nichts zu Bordeaux 2020 hier im Forum gesehen habe, eröffne ich mal den Thread.

Ich habe eben eine Meldung im Newsletter von Suckling gesehen:
... from Pierre Courdurie of Croix de Labrie in Bordeaux: ...
“We are fighting for 2020. 2 nights of frost and worst is coming from Sunday night till Wednesday. My Goodness: Covid19; economic crisis and now the frost.... We are fighting”

Es war ein Bild von einem Weinberg mit Frostkerzen dabei.

Habt ihr schon was zu den Frösten gehört/gesehen?
Man muss immer etwas haben, worauf man sich freut. (Eduard Mörike)
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small talk

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Re: Bordeaux 2020

BeitragFr 25. Sep 2020, 09:36

Lese 2020
Am 16. September haben wir zwei kleine Parzellen junge Merlots (20 Jahre) geerntet, weil Traubenfäulnis (Botrytis) sich eingenistet hat. Das Lese gut war OK und die Enzyme der Bortrytis ließen sich mit etwa 10 g Tanninen aus Kastanie stoppen. Zur Sicherheit wurde mit etwa 4 g SO2 die Maische geschützt. Das sind alles Maßnahmen um auch in kritischen Situationen guten Wein zu machen.
Mit der eigentlichen Lese haben wir dann 20. mit kleinem Team eine Parzelle und am 21. September richtig losgelegt. Gesundes Traubengut, Verzicht auf SO2 -Zusatz und schon nach zwei Tagen Extraktion gute Ergebnisse. Bis gestern konnten wir durchgehend ernten – ganz ohne Fäulnis. Heute ist wegen Regen keine Lese möglich, es ist auch sehr viel kühler geworden. Es bleiben noch zwei Lese-Tage um die Merlots rein zu holen. Die Cabernets gehen bedeutend schneller. Das Wetter wird ab Sonntag wieder gut. Nächste Woche könnten wir mit der Lese durch sein. Wenn nicht, wäre das auch kein Problem. Die Reife geht ohne Botrytis sehr gut weiter und sollte die Reifegrade zwischen den Reben weiter angleichen. Die niedrigeren Temperaturen sind perfekt für die Traubengesundheit.
Extraktion
Die Extraktion ist dieses Jahr tricky! Schon bei der Bestimmung der optimalen Lese hatten wir unsere Schwierigkeiten. Es gab wegen der extremen Trockenheit Ansätze von Not-Reife andere Rebstöcke kamen nicht zur Vollreife und dazwischen jagen nur zwei Meter... Deswegen war das Lesegut nicht immer homogen! Das gilt besonders für junge Reben (wahrscheinlich wegen des schwächeren Wurzelsystems). Im Lesegut fanden sich auch Beeren die noch nicht voll-reif waren. Die Kerne dieser Beeren sind an den Ansatzstellen noch grün. Eine zu starke Extraktion wird unangenehme adstringierende harte Tannine hervor bringen (so soll ja Leute geben die das mögen). Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch. Die Säure ist angenehm und spielerisch interessant. Zucker/Alkoholgehalte sind bisher relativ hoch zwischen 13,5 und 15 % Alkoholpotenzial. Ich rechne mit etwa 14 % als Jahrgangsdurchschnitt.
Diese Infos gelten für unser Weingut und sind nicht allgemeingültig für das Bordelais.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
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amateur des vins

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Re: Bordeaux 2020

BeitragFr 25. Sep 2020, 10:42

Danke, Stefan!
Ich finde es sehr interessant, aus erster Hand zu lesen, und lerne dadurch einiges.
Besten Gruß, Karsten
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Herr S.

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Re: Bordeaux 2020

BeitragFr 25. Sep 2020, 12:24

Hallo Stefan,

danke auch von meiner Seite, sehr interessant! Eine Frage zur Schwefelung: Du gibst eine Menge von 4g SO2 an, vermutlich in der Maische. Kannst Du ca. abschätzen, was dass in mg/L wäre?

Viele Grüße,
Björn
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small talk

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Re: Bordeaux 2020

BeitragFr 25. Sep 2020, 16:36

Hallo Björn,
4 g SO2 je hl ergibt zwischen 14 und 18 mg (freies) SO2 je Liter. Davon ist nach der alkoholischen Gärung nichts mehr da – mit dem CO2 ausgegast.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
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small talk

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Re: Bordeaux 2020

BeitragSo 27. Sep 2020, 06:22

Lese
Es läuft alles gut. Freitag hatten wir eine ‚Regenpause‘ und Samstag/gestern mussten wir schon Vormittags abbrechen. Die nächsten Tage soll es trocken bleiben. Donnerstag ist Vollmond und ein Wetterwechsel ist zu erwarten. Auch laut Wettervorhersage wird es unbeständiger, die ist jedoch sehr unsicher, da vermutlich Daten wegen des fehlenden Flugverkehrs fehlen. Mit den merklich kürzer werdenden Tageslängen wird auch die ‚Abtrocknenzeit‘ kürzer – das übliche Risiko. Die Nächte sind jetzt mit 5 °C sehr kühl, womit Botrytis erst mal kein Thema mehr ist. Der Ertrag ist sehr klein.
Da die Zeit bis Donnerstag knapp wird holen wir heute die Merlots für Le Reysse rein und sind dann mit den Merlots auch durch. Morgen geht es mit den ersten Cabernet Sauvignon los. Wenn es weiter so gut läuft können wir bis Mittwochabend oder Donnerstagmittag so gut wie fertig sein.
Extraktion
Nach zwei Tagen Extraktion ist der Wein schon schwarz. Das ist extrem schnell und zeigt eine gute Reife an. Die Tannin-Gehalte sind überraschend hoch die Farbe extrem intensiv. Kein Grund für eine intensive Extraktion. Die jüngeren Reben auf den schwächeren Lagen haben höhere Zuckergehalte als die alten Reben auf den guten Lagen – klinkt eigentlich paradox. Das liegt vermutlich am Trockenstress der vergangenen Monate – eingetrocknete Beeren. Es ist nicht das erste Mal, dass die besseren Chargen weniger Alkoholgehalte aufweisen. Auch bei der Extraktion ist der Unterschied zwischen den Lagen sehr groß. Selektion und Trennung der Lagen ist wichtig. 2020 ist ein vom Terroir bestimmter Jahrgang - mal wieder.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
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pessac-léognan

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Re: Bordeaux 2020

BeitragSo 27. Sep 2020, 07:52

Danke, Stefan, für das 'Tagebuch' aus dem nördlichen Médoc. Ich finde das hochinteressant, etwas von der Entstehensgeschichte hinter dem Wein so direkt mitzubekommen. Die ganze Arbeit, die dahinter steht, die Arbeitsplanung, die Relevanz von Wetter und Wetterprognosen, die unterschiedliche Behandlung der Trauben aus den verschiedenen Parzellen usw. Noch eine Frage: Arbeitet man mit Arbeitskräften auf Abruf, sind das langgediente Leute, die z.B. den Reifegrad der Beeren bereits bei der händischen Lese einschätzen können oder ist das bei der Hochtechnologie der modernen Sortiermaschinen gar nicht mehr nötig?
Beste Sonntagsgrüße
Jean
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Sauternes

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Re: Bordeaux 2020

BeitragSo 27. Sep 2020, 09:32

Ein wirklich interessanter Einblick hinter die Kulissen der Weinherstellung, dafür vielen Dank Stefan.
Das veranschaulich sehr gut die immense Komplexität der Weinherstellung, sehr beeindruckend.

beste Sonntagsgrüße Heiko :)
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Re: Bordeaux 2020

BeitragMo 28. Sep 2020, 06:29

Lese
Gestern sind wir mit den Merlots‘ fertig geworden!
Heute kommen die Cabernets von Clos du Moulin rein. Ab Donnerstag soll es regnen – Freitag extreme Niederschläge. Wenn alles gut geht können wir vorher fertig werden.
Die Rebenkultur ist sehr ‚abhängig von den Witterungsverhältnissen. Bei der Lese wird diese Situation geradezu überspitzt. Der optimale Reifegrad besteht bei unseren Merlots und Cabernets während drei bis fünf Tagen und da sollte das Wetter dann passen für eine trockene Lese. Das ist jedes Mal spannend …
Im Grunde liegt genau darin der Vorteil der Maschinenlese. Die Flächenleistung in der Lese macht eine präzise Näherung an die optimale Reife möglich. Als Handlese wäre das nur mit einer Riesen-Mannschaft möglich und dazu die Flexibilität an manchen Tagen nicht zu ernten. Eine Pflückermannschaft die Däumchen dreht, zieht schnell weiter und verdient woanders ihren Lohn. Bei der Maschine ist es eine Frage des Zündschlüssels.
Eine selektive Handlese halte ich für Utopie. Die Frostschäden mit einer versetzten Blüte könnte das vielleicht noch Sinn machen ansonsten...
Bei der Maschinenlese gehen wir ‚relativ gemütlich‘ vor der Lese durch den Rebenbestand und holen alles raus was nicht reif wird. Diese Vor-Selektion erleichtert die Nach-Selektion während der Lese enorm.
Trotzdem sind wir in der Lese zu etwa 12 - 15 Arbeitskräften, vor allem um zu sortieren.
Unsere drei ständigen Mitarbeiter vier Aushilfskräfte dazu Freunde und Familie.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
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Winedom

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMo 28. Sep 2020, 19:48

Na, dann viel Glück die nächsten Tage. Das alles noch passt!
Es gibt im Leben eben auch eine Pragmatik und nicht immer nur wie alles theoretisch alles am besten ist! bzgl. Handernte.
Und ist die Pragmatik nicht schöner als der Idealismus. Zumindest erdiger!
Beste Grüße und herzlichen Dank für Deinen kleinen Blog.
Rainer
Viele Grüße
Rainer
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