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Bordeaux 2020

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2020

BeitragDi 22. Jun 2021, 22:35

Es ist selbst für jemanden, der fast den ganzen Tag damit verbringt, sich mit Bordeaux 2020 zu beschäftigen, nicht einfach, den Überblick über die Kampagne zu behalten. Was sich auf jeden Fall sagen läßt: mit der Appellation Margaux sind wir heute nun durch.

Dabei zeigt sich Erstaunliches (das, was nun folgt, ist mein relativ spontaner Eindruck, er ist sehr persönlich und in gewisser Weise weniger reflektiert als manchmal sonst):

Die Bordeaux Subskription funktioniert von der Produzentenseite nur, wenn sie sich als Solidargemeinschaft begreift. Im letzten Jahr mit seinen besonderen Umständen führte das zu "tutorials" solcher Erzeuger wie zunächst Pontet Canet - und alle Erzeuger hatten begriffen, dass es mehr zu verlieren als zu gewinnen gab.

In diesem Jahr haben Börsenindizes und Auktionen signalisiert, dass die Sorgen des letzten Jahres ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben.

Die Gunst der ersten Preise, die das "jetzt" in das letzte Jahr zu verlagern schienen, währte nur so lange, als die Erzeuger begriffen, dass sie damit den Attentismus des Marktes nicht würden niederringen können. So fingen sie an, die Intentionalität zu ändern.

Es gab dann eine Phase mit Preisveröffentlichungen von unfassbarer Opportunität, bei Weinen, die so ein wenig im Niemandsland zwischen Hype und Neglektion liegen.

Materiell reden wir hier über Weine, die nicht zur "Investmentklasse" zählen, weil zwar die Fungibilität bereits voll ausgeprägt ist, die Flasche aber pro Preiseinheit ein zu großes Lagervolumen beansprucht.

Die Top-Erzeuger wussten von vorneherein, dass ihre Offerten auf eine abundante Liquditität im Markt treffen würde, die jede Bescheidenheit als Dummheit oder Marktunkenntnis ausweisen würde.

Und sie wussten, dass das beste, was sie "der Bordeaux Subskripition" erweisen können, die Rückgabe zwischenzeitlich etwas verlorener Hierarchien sei.

Während Cos und Pontet Canet in 2016 preislich fast gleichauf waren, liegen jetzt mehr als 50% dazwischen.

Schauen wir nach Pessac, dann ist es keine Ãœberraschung, wenn Pape Clement mit dem Trio aus LCHB, SHL und HB nicht mehr mitkommt. Stilistisch ist der Wein ein Dinosaurier im Vergleich zu den anderen 3.

Wenn ich nach St. Emilion schaue, gibt es bei den 1er GCC B einige, die aufsteigen wollen (Canon, Belair Monange, Valandraud, Figeac, Beausejour Duffau, La Mondotte) und einige, die das offensichtlich nicht zum Ziel haben (La Gaffeliere, Trotte Vieille, Larcis Ducasse, Pavie Macquin). Ich sehe von der Qualität der Weine kaum Unterschiede, aber preislich drifted das enorm auseinander.

Nehmen wir an, ich würde mit meiner Einschätzung (mit der ich ja zum Glück nicht ganz alleine bin) nicht ganz falsch liegen, dass Durfort Vivens der neue Pontet Canet aus Margaux ist, wie würde man eine Situation begreifen, bei der man 10 Pontet Canets für eine Fl. Mouton bekommt? Das passiert gerade in Margaux (und Durfort Vivens ist ein Deuxieme Cru)...

Natürlich kann man, wie das Stollinger weiter oben getan hat, den Markt nach noch verfügbaren Jahrgängen "absuchen". Da wird man immer Weine und Händler finden. Die Frage aber, ob man damit nicht Äpfel mit Birnen vergleicht, weiß ggf. nur der zu beantworten, der all diese Jahrgänge verkostet hat.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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vanvelsen

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 08:26

mthShax hat geschrieben: Ich bin immer wieder erstaunt, wie sensationell die Weine ab Fass oder in der Probe schon schmecken, man sie aber dennoch erst 6 Jahre später trinken soll. Mir ist schon klar, dass sich Weine in ihrer Reifezeit z. T. sehr deutlich verändern, aber manchmal frage ich mich, was laut den Beschreibungen noch besser werden soll.


Meine Trinkffenster versuche ich so festzulegen, wie ich einen Wein En Primeur resp. bei Arrivage degustativ wahrnehme. Es geht hier im Kern darum, die Menge und die Qualität der Tannine einzuschätzen, das Vorhandensein einer guten Säurestruktur zu prüfen und die Blance zwischen Alkohol, Frucht und Tannin/Säurestruktur zu bewerten. Viel gutes Tannin, Säurestruktur und Balance sind dann ein Garant für eine schöne und lange Reifephase.

Fakt ist natürlich auch: SHL hat enorm feine Tannine, die es erlauben, den Wein grundsätzlich schon bei Arrivage problemlos "trinken zu können". Doch zwischen "Trinken können" und "trinken möchten" gibt es für mich einen Unterschied. Aktuell ist es z.B. der 2012er (qualitativ noch nicht auf dem gleichen Niveau wie 2015 bis 2020), der sich so präsentiert, wie ich einen Wein trinken möchte, nämlich am "Anfang eines idealen Trinkfensters".

Schwieriger wird es mit der Schätzung für das "Ende des idealen Trinkfensters" – hier kommt die Glaskugel schon eher mit ins Spiel, und – das ist auch nicht zu unterschätzen – die ganz subjektive Wahrnehmung, wann ein Wein noch trinkbar ist. Ich kenne viele ältere Weinnasen, die sich mit grosser Freude einem 50 oder 60+ jährigen Wein hingeben. Es gibt aber genausoviele Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber, die gerade im fortgeschrittenen Alter die "Lust an der Frucht" wiederentdecken.

Meine Schätzung, in diesem Fall 2027-2050 für SHL 2018, basiert auf der doch mehrfach geprüften Erfahrung, dass man heutige Bordeaux-Weine bereits rasch "trinken möchte" und dass der Wein aufgrund seiner grossen Qualität (viel sehr hochwertiges Tannin, top Säure, sensationelle Balance zwischen Frucht und Struktur etc.) ein mindestens 20jähriges "optimales Trinkfenster" vor sich hat.

Setzen wir nun diese Aussage in den Kontext eines älteren, bekanntlich sehr guten und wie 2018 ebenfalls sonnenverwöhnten Jahrgangs und nehmen einen sehr guten Wein aus der selben Appellation (ich nehme bewusst nicht SHL, da dieser Wein damals noch nicht auf dem Niveau von heute ist): Château Haut-Bailly 1990. Dieser Wein bietet aktuell sensationellen Trinksgenuss, ist meines Erachtens aber "am Ende seines optimalen Trinkfensters" angelangt, was nicht heisst, dass er in 10 Jahren nicht mehr trinkbar ist, aber ich bin überrzeugt, dass sich dieser Wein nicht mehr verbessern wird, sondern über die Jahre nun tendenziell an Charme verlieren dürfte und seine Fähigkeit, grosse Trinkfreunde zu garantieren, einbüssen wird.

Ich habe bei diesem Beispiel-Wein divese Refernzpunkte. Ich genoss meine ersten Haut-Bailly des Jahrgangs 1990 ums Jahr 2000 herum. Damals war der Wein noch jugendlich, etwas sperrig, aber trinkbar. Er fand um 2005 herum sein aus meiner Sicht "optimales Trinkfenster", welches er nun bis eben zum heutigen Tage resp. Jahr halten konnte. Kurz: Haut-Bailly 1990 öffnete ca. 15 Jahre nach der Ernte sein rund 20jähriges, optimales Trinkfenster.

Wohl wissend, dass sich die Vinifikation deutlich verändert hat, und die Weine heutzutage früher zugänglich sind, bin ich darum überzeugt, dass mein angegebenes Trinkfenster für SHL 2018 richtig gewählt ist. Wer es nicht glauben möchte, darf gerne in nicht ganz unfreudvollen Praxis-Tests das Gegenteil beweisen.

Lieber Gruss,

Adrian
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small talk

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 08:54

Sieht es also doch so aus, dass sich Weine/Châteaux aufteilen in „Investmentklasse“ und „Genussklasse“.
OK – Es mag Leute geben, die auch ein Investment wirklich genießen, aber die können doch auch Zwiebeln kaufen – ach ne das hatten wir schon und sind damit durch…
Die Problematik auf der Erzeuger-Seite ist dann jedoch, dass die „Investmentklasse“-Weinerzeuger unverhältnismäßig mehr Umsatz bei vergleichbaren Kosten haben und entsprechend überproportionale Gewinne. Im Wettbewerb um 'Knappe Faktoren' ergibt sich daraus ein Vorteil! Der Boden ist dabei der Faktor mit einer absoluten Einschränkung (Etagen-Weinbau wird es nicht geben). Das Limit ist hier die Grenze der jeweiligen Appelation. Ist es also nur eine Frage der Zeit bis die Appelation Pauillac oder Margaux komplett von Premier-GCC ausgefüllt ist? Rein ökonomisch (Wertschöpfung) macht das sogar Sinn… Nur so ein Gedankenspiel.

Bin ich froh hier in Médoc mich nicht mit GCC rumschlagen zu müssen - obwohl einige hier schon gekauft haben.
Beste Grüße aus Médoc – hoffentlich weit genug weg
Stefan
Zuletzt geändert von small talk am Mi 23. Jun 2021, 14:32, insgesamt 1-mal geändert.
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UlliB

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 09:19

small talk hat geschrieben: Ist es also nur eine Frage der Zeit bis die Appelation Pauillac oder Margaux komplett von Premier-GCC ausgefüllt ist? Rein Ökonomisch (Wertschöpfung) macht das sogar Sinn… Nur so ein Gedankenspiel.

Die Konversion ist doch schon zu großen Teilen geschehen. Noch vor 30 Jahren gab es in St. Julien eine ganze Reihe nicht klassifizierter Güter bzw. cru bourgeois - die meisten davon sind heute spurlos verschwunden, ihre Flächen sind von den ansässigen GCC übernommen und integriert worden. Und die paar, die noch da sind, nehmen ganz einfach Preise wie die klassifizierten Betriebe - siehe Gloria.

Ähnlich sieht es in Pauillac aus, wo bekanntermaßen die Flächen einiger cru bourgeois sogar zu 1er GCC umgewandelt wurden. Die paar nicht klassifizierten Betriebe, die es da noch gibt, gehören entweder sowieso schon zu den Großen am Ort (Pibran z.B.) oder werden beim Tod der jetzigen Besitzer von irgendjemandem geschluckt werden - alleine weil die Erben bei Hektarpreisen von inzwischen über zwei Millionen Euro die Erbschaftssteuer nicht mehr aufbringen können.

Etwas besser sieht es momentan noch in Margaux und besonders in St. Estephe aus. Aber auch da ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles den klassifizierten Betrieben gehört. Das ist nicht aufzuhalten.

Gruß
Ulli
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Fasano

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 09:29

Das sind ja keine guten Aussichten für zukünftige Weinliebhaber. Bordeaux nur noch für Besserverdiener. Mich trifft das nicht mehr als Endfünfziger und gut gefülltem Keller. Meine in 25 Jahren zusammengetragenen Bordeaux sind von ganz alleine zu Raritäten geworden. Ich kaufe nur noch hier und da ein paar Einzelflaschen weil ich es einfach nicht sein lassen kann....
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UlliB

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 10:18

Haut Brion hat's schon mal geschafft, 53% plus auf den 2019er Preis. Etwa 600 € EVP.

La Mission bescheidet sich hingegen mit 40%, irgendwo bei 350 € EVP.

Der weiße Haut Brion ist mal wieder der teuerste Wein der Kampagne - etwa 850 € EVP, so man den denn überhaupt findet. Der weiße La Mission liegt irgendwo bei 660 € EVP.

Gruß
Ulli
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Bordelaiser

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 10:37

Liebe Weinfreunde,

kurze Anmerkung zum heutigen Release von Clarence Haut Brion, EUR 140/Fl. ohne MwSt.

LCHB kam zu EUR 95/Fl. ohne MwSt. (1. Tranche). Die Kritikerbewertungen für LCHB sind eine Liga besser und Haut Brion liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, also gleiches Terroir. Alles ist also relativ :)

Besten Gruss,
Jens
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UlliB

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 10:50

Bordelaiser hat geschrieben:kurze Anmerkung zum heutigen Release von Clarence Haut Brion, EUR 140/Fl. ohne MwSt.

LCHB kam zu EUR 95/Fl. ohne MwSt. (1. Tranche). Die Kritikerbewertungen für LCHB sind eine Liga besser und Haut Brion liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, also gleiches Terroir. Alles ist also relativ :)

Die Zweitweine der Premiers sind immer ein eigenes Kapitel. Das geht auch noch "besser" als beim Clarence HB: Carruades de Lafite lag bei 196 € ohne MwSt und ist damit deutlich teurer als beide Pichons.

Ich habe keine Ahnung, wer so etwas zu diesen Preisen kauft, und warum. Aber es scheint Kunden zu geben...

Gruß
Ulli
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sorgenbrecher

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 11:53

UlliB hat geschrieben:Haut Brion hat's schon mal geschafft, 53% plus auf den 2019er Preis. Etwa 600 € EVP.

La Mission bescheidet sich hingegen mit 40%, irgendwo bei 350 € EVP.

Der weiße Haut Brion ist mal wieder der teuerste Wein der Kampagne - etwa 850 € EVP, so man den denn überhaupt findet. Der weiße La Mission liegt irgendwo bei 660 € EVP.

Gruß
Ulli


Ist ja alles schon dagewesen und aus Sicht der Chateaus nur logisch.
Man schaue sich die Preissteigerungen von 2008 auf 2009 an, Haut-Brion hat da gut 300% draufgepackt. Man hat sowohl bei den Preisabschlägen in Krisenzeiten als auch bei den Steigerungen nach Krisen also eher dazugelernt und lässt die Ausschläge etwas kleiner. Mit 2009/2010 hat man die Schraube damals überdreht und auch die extremen Abschläge für 2008 waren ihnen eine Lehre.
Gruß, Marko.
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UlliB

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Re: Bordeaux 2020

BeitragMi 23. Jun 2021, 13:04

Kurz vorm Mittagessen kommt noch Montrose, plus 33%, knapp 180 € EVP. Damit bleibt Cos d'Estournel vor Montrose der teuerste Wein in St. Estephe. Qualitativ war die Rangfolge in den letzten 20 Jahren für meinen Geschmack eigentlich immer umgekehrt :?

Gruß
Ulli
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