So 29. Mär 2020, 18:49
Château Léoville-Barton GCC de Saint-Julien 2000 12.5%Zunächst P&P bei 13°, dann offen in der Flasche stehen gelassen
Auge: dunkles Purpur, aber nicht schwarz, keine Alterstöne im 20. Jahr
Nase: Typische Cabernetwürze, etwas réglisse (Lakritze) und Cassis, eine Spur in hochfeinem Grappa eingelegte Traube, ein Hauch Veilchen
Gaumen: Wenn man jemandem erklären wollte, was 'Zigarrenkiste' bei einem Wein meint, müsste man ihm nur einen Schluck dieses Weines kredenzen. Wenn ein Wein unmittelbar und mundfüllend diese Zigarrenkistenaromen entfaltet, dann dieser Saint-Julien. Dabei werden sogleich Kindheitserinnerungen wach: Früher gab es diese grossen Zigarrensortimentskisten aus Zedernholz, mit Abteilungen im Innern, in denen Zigarren und Zigarillos derselben Marke untergebracht waren. Ich erinnere mich an genau diese Kisten einer bestimmten Marke, ich glaube, es war Partagas. Dabei verhielt es sich so: Der Abt eines Klosters ennet der Grenze erstand - neben einfacheren 'Stumpen' für die Mönche, jedes Mal eine solche Zigarrenkiste, wohl für sich und die anderen 'Obrigkeiten' im Kloster. Da der Grenzübertritt mit einer solchen Kiste wohl ein Risiko darstellte und dieses Riesending nicht unter der Soutane zu verbergen war, wurde sie geleert und der Inhalt in kleinere Behältnisse verteilt. Die leere Kiste bekam der Junge, der dieses Prozedere, das sich unter Flüstern abspielte, in begieriger Erwartung mit verfolgte, und sobald er in ihrem Besitz war, war sogleich jegliches Interesse am Soutanenträger verflogen und nur noch auf die leere Zigarrenkiste gerichtet. Genauer: auf deren Gerüche. Jedes Fach hatte eine etwas andere Nuance, mit der Zeit vermählten sich jedoch diese Gerüche und bildeten auf eine merkwürdige Art eine Einheit. (Die Kiste blieb übrigens lange leer, ehe das eine oder andere Fach mit Kleinjungenkram gefüllt wurde, womit die Kiste mit der Zeit funktionalisiert wurde und ihre Geruchsfokussierung teilweise verlor.)
Gerade eben beim Trinken des Léoville-Barton war also nun mundfüllend genau diese Zigarrenkistenerinnerung, ohne das geringste Zögern, geweckt, nach wohl mehr als 50 Jahren. Interessanterweise also zeigte sich die so überaus deutliche Geruchserinnerung im Mund beim Kauen des Weins als Geschmack - als ob der kleine Junge damals Kautabak gegessen hätte (was garantiert nicht der Fall war). Und erst dann stieg dieser Zigarrenkistengeschmack quasi zurück in die Nase, und beim erneuten Riechen waren die ursprünglichen Noten in der Nase gänzlich überlagert von dieser Zigarrenkiste.
Neben dieser extrem deutlichen Zigarrenkiste haben es alle anderen Geschmacksnuancen schwer: Leder, das Leder eines ziemlich neuen Militärgurtes (hat nichts zu tun mit parfumierten und konfektionierten Edelledergerüchen), mit Temperaturanstieg auch schwarzer Pfeffer, ziemlich scharf, dann übergehend in edle Noten weisser Pfefferarten. Keine Tertiäraromen von Waldboden und Pilzen, aber auch so gut wie keine Fruchtaromen.
Im langen Abgang neben schwächer werdendem Pfeffer ganz wenig Nelke.
Für mich bekommt dieser wuchtig-solide Wein 93/94 Punkte, wobei ich denke, dass viele eingefleischte Liebhaber traditioneller Saint-Juliens höher bewerten würden. Ich persönlich mag den 2002er mit seiner leisen Fruchtigkeit etwas lieber... Geschmackssache.
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