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30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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harti

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Re: 30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

BeitragMo 17. Feb 2014, 18:27

Hallo zusammen,

wenn mein – inzwischen leider verstorbener – akademischer Lehrer vorstehende Beiträge gelesen hätte, wäre er möglicherweise versucht gewesen, eine 20seitige Antwort zu verfassen, in der er nachgewiesen hätte, dass der Agrarstrukturwandel ein untrennbarer Bestandteil der wirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft darstellt. Für die Begründung der Ursachen des Agrarstrukturwandels spielt es zunächst einmal nur eine untergeordnete Rolle, ob es sich bei dem landwirtschaftlichen Produkt um Wein, Weizen oder Rindfleisch handelt.

Menschen am Beginn ihrer beruflichen Karriere müssen sich entscheiden, ob sie die elterlichen Betriebe übernehmen wollen. Ein wichtiges – beileibe nicht das alleinige ! - Kriterium ist hierbei, ob diese Betriebe hinreichende Einkommenschancen bieten. Vergleichsmaßstab sind dabei regelmäßig die außerlandwirtschaftlichen Einkommensmöglichkeiten. Diese haben in den vergangenen hundert Jahren stetig zugenommen. Zugleich ist durch den technischen Fortschritt die Landbewirtschaftung immer weniger arbeitsintensiv geworden, wodurch die Agrarpreise – auch die Weinmostpreise – tendenziell unter Druck stehen. Verstärkt wird dieser Preisdruck durch die Internationalisierung des Weinhandels, da in vielen Ländern der Welt Wein zu deutlich niedrigeren Kosten produziert werden kann als hierzulande. In der Konsequenz sind die Weinbau-Betriebe, ob in Deutschland oder in Frankreich, zum Wachstum gezwungen, sofern sie sich nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abkoppeln wollen. Dieses Wachstum geht freilich nicht allein über die Fläche, sondern kann auch über die Qualität erreicht werden. Aber leider ist nicht jeder Winzer in der Lage, seine Qualität so zu steigern, dass sich höhere Preise und damit höhere Erlöse erzielen lassen. Solche weniger erfolgreichen Winzer werden über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Im besten Fall werden die frei werdenden Flächen von erfolgreicheren Betrieben übernommen oder sie fallen, wie man es leider bei weniger guten Steillagen immer mehr beobachten kann, einfach brach.

Manche mögen diese Entwicklung beklagen, ich gehöre nicht dazu. Gute Rebflächen gehören in die Hände von guten Winzern und die bekommen sie nur zu akzeptablen Preisen, wenn die weniger guten Winzer ihre Flächen freigeben.

Grüße

Hartmut
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manubi

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Re: 30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

BeitragMo 17. Feb 2014, 21:26

Bernd Schulz hat geschrieben:

. . .
Und auch beim Wein sind mir viele kleine Betriebe deutlich lieber als wenige große. Ganz abgesehen davon, dass es um die Existenz etlicher Menschen, die sonst nicht wissen, welchen Beruf sie ergreifen sollen, geht, bin ich mir ziemlich sicher, dass kleinmaschigere Strukturen die stilistischen Vielfalt und letztendlich auch die Qualität beförder (die Weine, die ich am liebsten trinke, stammen zum großen Teil aus kleinen Familienbetrieben).

Insofern sehe ich die in susas Eingangsposting angesprochene Entwicklung als erschreckend und bedauerlich an.

Je mehr kleine (Wein)bauern aufgeben müssen, desto stärker sind wir Verbraucher den industriell wirschaftenden Agrarbonzen ausgeliefert.

Viele Grüße

Bernd


Hallo Bernd,

wenn das Wünschen helfen würde, wäre ich voll bei dir.
Aber das Leben wird diktiert von der "normativen Kraft des Faktischen". Insofern liegt es nicht in unserer Macht, die beklagten Verhältnisse zu ändern. Abgesehen davon trinke ich lieber einen von einem Könner "gemachten" Bordeaux, der meinen Geschacksvorlieben entgegenkommt - auch, wenn er auf Flächen erzeugt wurde, die vor ein paar Jahren noch in der Hand einer familiären Grenzexistenz waren. Bedauerlich, aber wahr!

In Deutschland sind die Verhältnisse zum Glück noch etwas günstiger. Da gibt es wirkliche Spitzenerzeuger, die auf Basis eines echten Familienbetriebes herausragend gute Weine erzeugen. Das sollte uns ein wenig trösten.

Beste Grüße

Manfred
Ich koche immer mit Wein. Manchmal kommt sogar etwas davon in den Topf . . .
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Bernd Schulz

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Re: 30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

BeitragDi 18. Feb 2014, 01:29

Hallo Manfred,

In Deutschland sind die Verhältnisse zum Glück noch etwas günstiger. Da gibt es wirkliche Spitzenerzeuger, die auf Basis eines echten Familienbetriebes herausragend gute Weine erzeugen.


Ja, die gibt es in größerer Zahl - und daneben gibt es noch mehr Familienbetriebe, die in der zweiten und dritten Reihe stehen und auch einigermaßen manierlich vom Weinbau leben, ohne absolute Ausnahmeweine zu erzeugen oder auch nur anzustreben. Die weiter oben zu lesende Meinung Armins:

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder ich versuche höchste Qualität zu liefern und schaffe es auch diese Qualität bekannt zu machen oder ich versuche möglichst effektiv zu arbeiten, dazu gehören sehr oft auch erweiterte Betriebsgrößen die bestimmte Anschaffungen und Arbeiten erst wirtschaftlich sinnvoll machen.


scheint mir nämlich doch etwas zu sehr auf ein reines Schwarz-Weiß-Schema abzuheben. In der Realität sind viele Zwischenstufen möglich. Neben einem J.J. Prüm leben auch die Merkelbachs, neben Battenfeld-Spanier und Kühling-Gillot kommen auch Betriebe wie Gres oder Peth über die Runden.

Aber das Leben wird diktiert von der "normativen Kraft des Faktischen". I


Mit dieser einfachen Feststellung mochte ich mich noch nie abfinden. Ich leiste mir den Luxus, in einem gewissen Maße Idealist zu sein.

Bei Kleinstbetrieben ist aber schon auch das Problem, ob sie sich die für eine qualitativ hochwertige Weinproduktion notwendigen Gerätschaften überhaupt leisten können.


Naja, Gerald, bei Durchschnittsgrößen von ehemals ca. 11 und mittlerweile ca. 15 ha reden wir ja nun - zumindestens an deutschen Verhältnissen gemessen :mrgreen: - nicht unbedingt von Kleinstbetrieben! Ein Topwinzer wie KaJo Christoffel verfügt über gerade mal 2 ha.... :mrgreen: :mrgreen:

Und eventuell haben wir eine etwas unterschiedliche Vorstellung von den "für eine qualitativ hochwertige Weinproduktion notwendigen Gerätschaften". :mrgreen:

Aber das wäre dann schon wieder ein Thema, das einen eigenen Thread wert wäre.

Viele Grüße

Bernd
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Gerald

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Re: 30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

BeitragDi 18. Feb 2014, 08:32

Hallo Bernd,

Naja, Gerald, bei Durchschnittsgrößen von ehemals ca. 11 und mittlerweile ca. 15 ha reden wir ja nun - zumindestens an deutschen Verhältnissen gemessen :mrgreen: - nicht unbedingt von Kleinstbetrieben! Ein Topwinzer wie KaJo Christoffel verfügt über gerade mal 2 ha.... :mrgreen: :mrgreen:


es werden aber wohl nicht die Winzer mit genau 11 ha aufgegeben haben, sondern vielleicht eher solche mit 3 oder 4 ha. Und im Artikel steht auch, dass mehr als die Hälfte der Winzer über 50 Jahre alt sind, eine Übernahme scheint also auch für die nächste Generation nicht gerade attraktiv.

Sicher, wenn man gesuchte "Garagenweine" produziert, kommt man bestimmt auch mit 2 ha über die Runden. Bei Durchschnittsware wird das aber vermutlich nur mehr im Nebenerwerb möglich sein.

Nur: wie kann es ein 2ha-Betrieb mit Massenware schaffen, auf Topqualität umzustellen? Wohl nur, indem er sehr viel Geld in die Hand nimmt, vorerst höhere Kosten und geringere Erträge in Kauf nimmt, während es sicher länger dauert, bis er die gewünschten Preise am Markt erzielen kann. Da braucht er einen großen finanziellen Polster, den die meisten eben nicht haben werden.

Grüße,
Gerald
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octopussy

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Re: 30% der Bordeaux-Winzer haben aufgegeben

BeitragDi 18. Feb 2014, 10:23

Bernd Schulz hat geschrieben:Und auch beim Wein sind mir viele kleine Betriebe deutlich lieber als wenige große. Ganz abgesehen davon, dass es um die Existenz etlicher Menschen, die sonst nicht wissen, welchen Beruf sie ergreifen sollen, geht, bin ich mir ziemlich sicher, dass kleinmaschigere Strukturen die stilistischen Vielfalt und letztendlich auch die Qualität beförder (die Weine, die ich am liebsten trinke, stammen zum großen Teil aus kleinen Familienbetrieben).

Hallo Bernd,

man darf in dieser speziellen Diskussion nicht vergessen, dass es offenbar (so lese ich den Artikel) weniger um Selbstabfüller geht, sondern um "Weinbauern", d.h. solche, die ein paar Hektar bewirtschaften und ihre Trauben oder den Most an Abfüller verkaufen.

Das Zitat aus dem Artikel ist:

Ils ont pas mal été touchés car ils vendaient surtout au négoce. Ceux qui ont mieux marché, ce sont ceux qui faisaient de la qualité et vendaient en bouteilles.


oder sehr grob übersetzt: "Diejenigen, die überwiegend an Abfüller verkaufen sind besonders betroffen. Diejenigen, die Qualität produzieren und in Flaschen verkaufen, konnten sich besser am Markt halten."

Die Weinbauern sind viel stärker vom Fasspreis und damit auch vom Preis auf dem Weltmarkt betroffen. Eine Korrelation zwischen Betriebsgröße und Qualität im Sinne von "je kleiner desto besser" gibt es hier nicht. Laut dem Artikel scheint eher anders herum ein Schuh draus zu werden. Mal ehrlich: wenn du eh nur den Fasspreis für deine Trauben/den Most kriegst und allenfalls eine marktgängige Qualität dafür liefern musst, kommt es doch hauptsächlich darauf an, möglichst viel Wein zum Fasspreis zu verkaufen. Es besteht gar kein ökonomischer Anreiz, eine besonders gute Qualität zu produzieren.
Beste Grüße, Stephan
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