Guten Morgen,
im Prinzip ist die Wahl der Eröffnung bei den Primeurs von ähnlichem Belang wie sie dies beim Schach auch ist.
In gewisser Weise erinnert mich diese Kampagne an den Jahrgang 2008, der mit den emotionalen und materiellen Nachwehen eines "not too big to fail" zu kämpfen hatte. Damals wurde Angelus ganz früh ins Rennen geschickt, in diesem Jahr sollten eigentlich Lafite und LLC die Gewährsträger der Kontinuität werden.
Wenn nicht alles täuscht, ist diese Strategie bisher nicht aufgegangen. Im Vorfeld hatten beinahe alle Negociants, mit denen wir zusammenarbeiten, ihre Euphorie darüber, dass Lafite mit dem gleichen Preis wie 2019 an den Markt kommen wolle, kundgetan. Keiner meiner Ansprechpartner konnte meine Reaktion "...das ist nicht wirklich relevant..." verstehen.
Dass die Preise von Lafite und LLC ein Ausrufezeichen sind, versteht sich von selbst. Wie viele Kunden aber gibt es, die diese Weine wirklich einkaufen? Woher sollte eine Kampagne ein Momentum erfahren, wenn nicht von Weinen, die auch in der "Breite" gekauft werden?
Insofern lohnt der Blick auf Pontet-Canet. Der Preis ist höher als 2019, er ist gleich hoch wie 2011 und 2014 bereits. Die Enttäuschung im Markt ist zu spüren; man sollte nun aber nicht blind die Preise von 2019 erwarten. Pontet-Canet ist mittlerweile wieder ein "handfester" Pauillac, und im Konzert der Topadressen hier fällt er in keiner Weise durch Dissonanz auf.
An Lafite kommt Pontet Canet in diesem Jahr nicht heran, aber den beiden Pichons und selbst Latour begegnet er auf Augenhöhe. Lynch Bages liegt hier mit seiner etwas breitbeinigen Interpretation etwas im Abseits.
Wenn es so etwas wie eine "Subskriptionsmüdigkeit" gibt, dann wird sie in diesem Jahr besonders ausgeprägt sein, weil es eben in den letzten 15 Jahren zu viele zu gute Jahrgänge gab, in denen zu viel gekauft wurde, als dass man es hinreichend konsumieren könnte.
Diese Müdigkeit ist eine gute Basis, nicht den allertrivialsten Verlockungen auf den Leim zu gehen. Sie sollte aber genügend Raum lassen für die Wachsamkeit, dort den inneren Wert des Bordeaux-Jahrgangs 2023 zu erkennen, wo einer vorhanden ist.
Dieser innere Wert ist natürlich auch mit dem Preis assoziiert, man sollte sich aber davor hüten, die Gleichheit mit 2019 als eine condition sine qua non zu denken. Ein Beispiel eines Weins, der auf den ersten Blick teuer daherzukommen scheint, der aber nach meiner Einschätzung das "2023er Lied" mit am schönsten singt, ist Trotte Vieille.
Dazu ist mir dies eingefallen:
"Ursprünglich dürfte die schwarze Robe, als die man das Etikett des Trotte Vieille bezeichnen kann, Ausdruck der Legendenkraft hinter der „trottenden Alten“ gewesen sein: wie sonst gekleidet würde man sich eine solche historische Person vorstellen?
Diese originär dem Trauergestus zuzurechnende Topik verwandelte sich dann in den letzten Jahren zusehends in sein emotionales Oppositum, als die neuen Granden aus Saint-Emilion, die 2012 im Alphabet einen Buchstaben nach vorne zu rücken sich anschickten, das nunmehr „kleine Schwarze“ für sich entdeckten.
Nun wäre man schlecht beraten, im Trotte Vieille 2023 das Feierbiest zu erwarten, auf das sein überdies in den letzten Jahren dezent „aufcouturiertes“ Etikett im Kontext der Königsklasse in der Saint-Emilion-Klassifikation Hinweise zu geben scheint.
Aber: die Wahl der Robe ist hier neuerdings vortrefflich gelungen, weil der Trotte Vieille, den man einst eher als das Appendix der mit „B“-betuchten 1er Grand Cru Classé ansah, nun einen beinahe unheimlichen Aufstieg erlebt.
Nirgends sonst im Weltkulturerbe Saint Emilion mit seinen assoziierten archivfesten klassifizierten Weingütern hat der „wind of change“ derart den angestauten Staub der letzten Dezennien weggeblasen, wie hier auf Trotte Vieille.
Der mit sublimer Kraft gesegnete Trotte Vieille 2023 ist ein Hort der Ruhe, Erhabenheit und Schönheit.
Schon im ersten Antrunk geizt dieses opake, von feinsinniger Würze unterlegte Fruchtelixir nicht mit seinem Charme, der mit beiläufiger Nonchalance das Momentum eines mit inwendiger Rasse, Tiefe und Distinktion bewährten Riesen camoufliert. Wo andere die Gunst des Verkosters zu erheischen versuchen mit zelebrierter Schau, verzichtet der Trotte Vieille auf das große Wort und begnügt sich mit der Geste der Bescheidenheit.
Das Bouquet von unterschwelliger Süße, feinen Veilchenschüben, dunklen Schokonoten, einem dezenten Zedernhauch und vor allem brillantklarer aromatischer Beerenfrucht ist das Entree zu einem Gaumenparcours von allerhöchster Anmut, Eleganz und Finesse. Schwerelos, so als ob es hier keine Gravitation gäbe, gleitet eine noble, reine und klare Fruchtwoge, um die passgenau ein Tanninsaum von feinstem Zuschnitt liegt, zu einem Finale von ganz ausserordentlicher Verve und animierendem Esprit.
Trotte Vieille 2023 ist eine Assemblage aus 53% Cabernet Franc, 44% Merlot und 3% Cabernet Franc.
Erwartetes Trinkfenster: 2029 - 2055.
Meine besondere Empfehlung.
Matthias Hilse 96-99 Punkte"
Die Kampagne 2008, die zunächst überhaupt keine Sehnsüchte wecken konnte, ist übrigens mit den Primeursveröffentlichungen von Robert Parker damals (im Juni) dann doch noch mächtig in Schwung gekommen. Damals gab es eben einen einzigen, der etwas bewegen konnte.
Die multiple Duplizierung der Verkoster seitdem hat die Bedeutung jedes einzelnen "weginflationiert". Diese Kampagne wird keinen deus ex machina haben, der jenseits der Begierde der Konsumenten liegt.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
im Prinzip ist die Wahl der Eröffnung bei den Primeurs von ähnlichem Belang wie sie dies beim Schach auch ist.
In gewisser Weise erinnert mich diese Kampagne an den Jahrgang 2008, der mit den emotionalen und materiellen Nachwehen eines "not too big to fail" zu kämpfen hatte. Damals wurde Angelus ganz früh ins Rennen geschickt, in diesem Jahr sollten eigentlich Lafite und LLC die Gewährsträger der Kontinuität werden.
Wenn nicht alles täuscht, ist diese Strategie bisher nicht aufgegangen. Im Vorfeld hatten beinahe alle Negociants, mit denen wir zusammenarbeiten, ihre Euphorie darüber, dass Lafite mit dem gleichen Preis wie 2019 an den Markt kommen wolle, kundgetan. Keiner meiner Ansprechpartner konnte meine Reaktion "...das ist nicht wirklich relevant..." verstehen.
Dass die Preise von Lafite und LLC ein Ausrufezeichen sind, versteht sich von selbst. Wie viele Kunden aber gibt es, die diese Weine wirklich einkaufen? Woher sollte eine Kampagne ein Momentum erfahren, wenn nicht von Weinen, die auch in der "Breite" gekauft werden?
Insofern lohnt der Blick auf Pontet-Canet. Der Preis ist höher als 2019, er ist gleich hoch wie 2011 und 2014 bereits. Die Enttäuschung im Markt ist zu spüren; man sollte nun aber nicht blind die Preise von 2019 erwarten. Pontet-Canet ist mittlerweile wieder ein "handfester" Pauillac, und im Konzert der Topadressen hier fällt er in keiner Weise durch Dissonanz auf.
An Lafite kommt Pontet Canet in diesem Jahr nicht heran, aber den beiden Pichons und selbst Latour begegnet er auf Augenhöhe. Lynch Bages liegt hier mit seiner etwas breitbeinigen Interpretation etwas im Abseits.
Wenn es so etwas wie eine "Subskriptionsmüdigkeit" gibt, dann wird sie in diesem Jahr besonders ausgeprägt sein, weil es eben in den letzten 15 Jahren zu viele zu gute Jahrgänge gab, in denen zu viel gekauft wurde, als dass man es hinreichend konsumieren könnte.
Diese Müdigkeit ist eine gute Basis, nicht den allertrivialsten Verlockungen auf den Leim zu gehen. Sie sollte aber genügend Raum lassen für die Wachsamkeit, dort den inneren Wert des Bordeaux-Jahrgangs 2023 zu erkennen, wo einer vorhanden ist.
Dieser innere Wert ist natürlich auch mit dem Preis assoziiert, man sollte sich aber davor hüten, die Gleichheit mit 2019 als eine condition sine qua non zu denken. Ein Beispiel eines Weins, der auf den ersten Blick teuer daherzukommen scheint, der aber nach meiner Einschätzung das "2023er Lied" mit am schönsten singt, ist Trotte Vieille.
Dazu ist mir dies eingefallen:
"Ursprünglich dürfte die schwarze Robe, als die man das Etikett des Trotte Vieille bezeichnen kann, Ausdruck der Legendenkraft hinter der „trottenden Alten“ gewesen sein: wie sonst gekleidet würde man sich eine solche historische Person vorstellen?
Diese originär dem Trauergestus zuzurechnende Topik verwandelte sich dann in den letzten Jahren zusehends in sein emotionales Oppositum, als die neuen Granden aus Saint-Emilion, die 2012 im Alphabet einen Buchstaben nach vorne zu rücken sich anschickten, das nunmehr „kleine Schwarze“ für sich entdeckten.
Nun wäre man schlecht beraten, im Trotte Vieille 2023 das Feierbiest zu erwarten, auf das sein überdies in den letzten Jahren dezent „aufcouturiertes“ Etikett im Kontext der Königsklasse in der Saint-Emilion-Klassifikation Hinweise zu geben scheint.
Aber: die Wahl der Robe ist hier neuerdings vortrefflich gelungen, weil der Trotte Vieille, den man einst eher als das Appendix der mit „B“-betuchten 1er Grand Cru Classé ansah, nun einen beinahe unheimlichen Aufstieg erlebt.
Nirgends sonst im Weltkulturerbe Saint Emilion mit seinen assoziierten archivfesten klassifizierten Weingütern hat der „wind of change“ derart den angestauten Staub der letzten Dezennien weggeblasen, wie hier auf Trotte Vieille.
Der mit sublimer Kraft gesegnete Trotte Vieille 2023 ist ein Hort der Ruhe, Erhabenheit und Schönheit.
Schon im ersten Antrunk geizt dieses opake, von feinsinniger Würze unterlegte Fruchtelixir nicht mit seinem Charme, der mit beiläufiger Nonchalance das Momentum eines mit inwendiger Rasse, Tiefe und Distinktion bewährten Riesen camoufliert. Wo andere die Gunst des Verkosters zu erheischen versuchen mit zelebrierter Schau, verzichtet der Trotte Vieille auf das große Wort und begnügt sich mit der Geste der Bescheidenheit.
Das Bouquet von unterschwelliger Süße, feinen Veilchenschüben, dunklen Schokonoten, einem dezenten Zedernhauch und vor allem brillantklarer aromatischer Beerenfrucht ist das Entree zu einem Gaumenparcours von allerhöchster Anmut, Eleganz und Finesse. Schwerelos, so als ob es hier keine Gravitation gäbe, gleitet eine noble, reine und klare Fruchtwoge, um die passgenau ein Tanninsaum von feinstem Zuschnitt liegt, zu einem Finale von ganz ausserordentlicher Verve und animierendem Esprit.
Trotte Vieille 2023 ist eine Assemblage aus 53% Cabernet Franc, 44% Merlot und 3% Cabernet Franc.
Erwartetes Trinkfenster: 2029 - 2055.
Meine besondere Empfehlung.
Matthias Hilse 96-99 Punkte"
Die Kampagne 2008, die zunächst überhaupt keine Sehnsüchte wecken konnte, ist übrigens mit den Primeursveröffentlichungen von Robert Parker damals (im Juni) dann doch noch mächtig in Schwung gekommen. Damals gab es eben einen einzigen, der etwas bewegen konnte.
Die multiple Duplizierung der Verkoster seitdem hat die Bedeutung jedes einzelnen "weginflationiert". Diese Kampagne wird keinen deus ex machina haben, der jenseits der Begierde der Konsumenten liegt.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse