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Reiseberichte Italien

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Weinbertl

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragSa 11. Mai 2013, 16:43

Hallo Klaus,

danke für Deinen Reisebericht. Mal ein ganz anderes Thema, was mich allerdings schon öfter beschäftigt hat: Wenn man ein Weingut (hier: Piemont) besichtigt und auch die Weine kostenlos probiert. Gibt es da so eine Art Anstandsmenge, die man kauft, auch wenn einem die Weine nicht gefallen? Oder winkt man einfach ab und schleicht sich vom Hof :lol:
Grüße
Robert
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Mr. Nebbiolo

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragSa 11. Mai 2013, 18:08

Hallo Robert,

darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht :D ;) .

Bei vielen dieser Weingüter, die ich besucht habe, kannst du gar keinen Wein kaufen, weil sie keinen Direktverkauf haben. Da hatte ich dieses "Problem" also nicht.

Bei den meisten anderen Weingütern kannte ich die Weine und wusste das ich sie mag, bei ganz wenigen war ich recht zuversichtlich, dass ich sie mag, hatte als auch kein "muss ich was kaufen" Problem.

Bisher war das also entweder kein Thema, oder ich war/wäre froh, wenn ich was kaufen dürfte.

Wenn ich ein kleines Weingut besuche, von dem ich die Weine nicht kenne und die mich freundlich behandeln, mir ihr Weingut zeigen und mich ihre Weine probieren lassen und mir tatsächlich kein Wein schmeckt, würde ich fragen, was die Führung/Weinprobe kostet und bezahlen und falls es nichts kostet, mich höflich bedanken, ein paar "Probeflaschen" kaufen und ruhigem Gewissen gehen.

Das dürfte aber eher ein Thema sein, wenn du "irgendwelche" Weingüter besuchst, von denen du weder einen Wein kennst, noch dich irgendwie darüber informiert hast und dann wirklich kein einziger Wein schmeckt (das wäre aber dann schon viel Pech und Unvermögen ;) :oops: ).

Wenn du in eine Weinregion fährst (und nicht in einer wohnst), dann doch sicher in eine, die dich interessiert und deren Weine du generell magst, oder ? Wenn du in einer wohnst und ein Gut nach dem anderen abklapperst und x-fach die selbe Sorte probierst und nur die Besten davon kaufen willst, könnte das allerdings mal ein Thema werden
Grüße

Klaus
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UlliB

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragMo 17. Jun 2013, 21:27

So, dann schreibe ich auch mal etwas hier… ;)

Eigentlich bin ich ja, was Rotwein betrifft, ein Frankreich-Fan. Aber seitdem es mich vor rund 20 Jahren beruflich in den tiefen Süden der Republik verschlagen hat und hier Italien quasi vor der Tür liegt, wurde es urlaubstechnisch immer häufiger Italien statt Frankreich, und mittlerweile steht im Regelfall ein oder zweimal jährlich ein ein- oder zweiwöchiger Aufenthalt in Italien auf dem Programm: Ligurien, Toskana, Südtirol, oder, wie vor kurzem, Piemont. Die Temperaturen waren diesmal absolut hochsommerlich; nicht gerade ideale Bedingungen für Rotweine, aber etwas geht immer….

Also: Piemont. Genauer gesagt: Roero. Das Gebiet ist auch unter Weintrinkern eher unbekannt, obwohl es hier ziemlich viel Weinbau gibt – der dominiert die Landschaft allerdings wesentlich weniger als in den Langhe (mit den Kernzonen Barolo und Barbaresco), und das Landschaftsbild ist dementsprechend kleinteiliger und sehr abwechslungsreich: stark hügelig, auf den Gipfeln der Hügel Mischwald, uralte Kastanien, an den Hängen Wein, Obst oder Haselnussplantagen, im Talgrund Getreideanbau oder Gartenwirtschaft. Das Ganze ist sehr hübsch, aber eher „unitalienisch“ – es gibt keine Oliven oder sonstige mediterrane Flora; das ist eine eindeutig mitteleuropäische Landschaft.

Für Piemont eher ungewöhnlich spielen hier im Weinbau weiße Sorten eine wichtige Rolle, insbesondere zwei autochthone Sorten: Arneis und Favorita. Arneis gilt als die höherwertige Sorte und besitzt eine eigene DOCG, Roero Arneis. Man ist hier einigermaßen stolz auf die aus Arneis produzierten Weine, was aber wohl nur aus einer italienischen Binnensicht verstanden werden kann: die Weine sind relativ säurearm, recht breit gebaut und mit einer nicht sehr komplexen Aromatik versehen, sie tendieren für mich etwas zur Trägheit. Bestenfalls anständig zu trinken und keinerlei Kaufreflex auslösend.

Bei Favorita (korrekt Favorita d’Alba) handelt es sich, wenn man wein+ glauben darf, eigentlich um Vermentino, der hier zu einem (für italienische Verhältnisse) leichteren, spritzigen Weißwein mit dezentem Zitrusaroma verarbeitet wird, dem man häufiger ein wenig Kohlensäure belässt. Die Weine werden unter der DOC Langhe Favorita verkauft, was schon einigermaßen merkwürdig ist, denn zu den Langhe gehört der Roero gerade nicht. Favorita wird gerne als Aperitif gereicht und trinkt sich gut gekühlt zügig weg (bei hohen Temperaturen gefährlich zügig :oops: ). Nett, aber muss ich auch nicht im Keller haben, da gibt es in Deutschland bessere Alternativen.

Während die Weißen aus meiner Sicht eher belanglos sind, sieht das bei den Roten schon anders aus. Basis bei den einfacheren Qualitäten ist die im Piemont ubiquitäre Barbera; außerdem gibt es als lokale Spezialität mit Schwerpunkt um Cisterna d’Asti auch Bonarda Piemontese, die gelegentlich frizzante (aber trocken) ausgebaut wird. Die besten Lagen sind aber durchgängig mit Nebbiolo bestockt; die hieraus hergestellten Weine laufen entweder unter der DOCG Roero oder unter der DOC Nebbiolo d’Alba (die höherwertigen immer als Roero DOCG). Der Nebbiolo fällt hier spürbar anders aus als in den Langhe, wo die Böden schwerer sind – fruchtbetonter und weicher, auch üppiger, was bei den Spitzenweinen gelegentlich durch einen deutlichen Neuholzeinsatz noch unterstrichen wird.

Produzenten besucht habe ich im Roero keine; diesmal waren nur zwei Erzeuger in Barbaresco dran (dazu später noch mehr). Man kann sich einen sehr guten Überblick über die Weine in der Enoteca Regionale del Roero in Canale d’Alba verschaffen , außerdem natürlich in der lokalen, teilweise herausragend guten Gastronomie. Als die drei führenden Betriebe des Gebietes gelten wohl Matteo Corregia (Canale), Malvira (ebenfalls Canale), und Negro (Monteu). Von Corregia hatte ich diesmal nichts im Glas, die Weine sind für das Gebiet auch empfindlich teuer. Malvira hinterließ ein gemischtes Bild; richtig angetan war ich aber von den Weinen von Negro; insbesondere den im großen Holzfass ausgebaute Roero „Prachiosso“ fand ich sehr schön. Da ist wohl beim nächsten Mal ein Besuch fällig…

Zu Barbaresco später noch mehr.

Gruß
Ulli
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UlliB

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragDi 18. Jun 2013, 15:17

Also dann, Barbaresco.

Barbaresco wurde über Jahrzehnte hinweg als der kleinere Bruder des Barolo angesehen: weniger tanninstarke, leichtere, vielleicht auch etwas elegantere Weine, mit geringerer Haltbarkeit. Schaut man sich mittlerweile die Preise an, die von Gaja, La Spinetta, und zwei oder drei weiteren Winzern im Gefolge für ihre Weine aus der DOCG Barbaresco verlangt werden, ist zumindest preislich die Rangordnung mittlerweile wohl weit weniger klar als vor zwanzig Jahren. Inwieweit die gängigen Meinungen über die Unterschiede zwischen Barolo und Barbaresco stimmen, kann ich nicht beurteilen; dazu habe ich schlicht zu wenig Umgang mit den Weinen. Angesichts der extrem heterogenen Stilistik verschiedener Winzer sowohl in Barolo als auch in Barbaresco kann ich mir aber vorstellen, dass auch Piemont-Experten hier gelegentlich ins Schleudern geraten.

Im Jahr 2007 hat man sich nach jahrelanger (jahrzentelanger ?) Mahnung durch die EU dazu bequemt, die Grenzen der einzelnen Lagen in Barbaresco genau zu definieren und katastermäßig zu erfassen. Vorher gab es hier Wildwuchs; letztlich durfte jeder Winzer entscheiden, wo eine Lage anfängt und wo sie aufhört, was dazu geführt hatte, dass einige Lagen mit gutem Namen wie Rabajà oder Asili im Laufe der Jahre einen ganz enormen Flächenzuwachs erfahren hatten.

Was das Unterfangen jetzt dem Konsumenten nützt, bleibt abzuwarten – manche Lagen scheinen schon auf den ersten Blick extrem heterogen zu sein. Ovello z.B. erstreckt sich über eine Hügelkuppe hinweg und hat deshalb sowohl Anteile mit einer Nordost-Exposition als auch Anteile mit einer Südwest-Exposition, was nach Aussage lokaler Winzer deutlich unterschiedliche Weine ergibt. Darüber hinaus haben etliche Winzer für einige ihrer Weine nie Lagennamen benutzt, sondern Parzellennamen oder Fantasiebezeichnungen, und wo die Weine gut eingeführt sind, wird man dies beibehalten (ein Beispiel folgt gleich). Die meisten Lagennamen in den Randgebieten von Treiso und Neive scheinen mir darüber hinaus eher unbekannt und nur von ein oder zwei Winzern verwendet worden zu sein, wenn denn überhaupt.

Der kürzlich freigegebene Jahrgang ist 2010 – klimatisch gesehen wohl ziemlich problematisch, aber im Ergebnis sehr gut. Die Weine sind etwas schlanker, straffer und klarer definiert als die aus dem opulenteren Hitzejahrgang 2009, was bei Parallelverkostungen des gleichen Weins aus beiden Jahrgängen klar zu erkennen ist.

Der erste Betrieb, den wir besucht haben, war Moccagatta. Der Grund hierfür war eine einige Wochen zuvor geöffnete Flasche Bric Balin 2004, die ganz wunderbar gereift war und mich sehr begeistert hat. Empfangen wurden wir von der Tochter des Hauses, die leidlich Englisch spricht. Zu verkosten gab es zwei Einzellagen-Barbaresco: zunächst Basarin, aus einer recht großen Lage in Neive, mit sandhaltigen, etwas leichteren Böden: der Wein ist schon ziemlich offen, fruchtig, sehr elegant, dürfte nicht viel Zeit brauchen. Ganz anders dann der Bric Balin, von schwereren Böden direkt beim Gutsgebäude: deutlich fester, tanninstärker und straffer; schwerer zugänglich, aber mit mehr Reserven. Sehr schön.

Der Bric Balin kommt ausschließlich aus der Lage Muncagöta. Der Umlaut „ö“ ist in der offiziellen Lagenkarte genau so verzeichnet, keine Ahnung, wie sich das ausspricht; verballhornt wird der Lagenname zu Moccagatta – daher dann auch der Betriebsname. Da der Name Bric Balin für den Wein etabliert ist, bleibt es jetzt dabei – Moccagatta macht keinen Muncagöta. Nur noch am Rande – die lokale, wirklich erstklassige Genossenschaft Produttori del Barbaresco macht eine Einzellagen-Riserva aus Muncagöta; auf dem Etikett erscheint der Lagenname aber als - Moccagatta:D

Als weiteren Einzellagen-Barbaresco gibt es auf Moccagatta auch noch einen Cole, aus irgendwelchen Gründen gab es den aber nicht zu verkosten. Im Ergebnis gefiel meiner Frau der Basarin besser, mir aber der Bric Balin – also ging von beiden Weinen etwas in den Kofferraum.

Der zweite Betrieb, der besucht wurde, war Albino Rocca – nur einige Hundert Meter Luftlinie von Moccagatta entfernt. Der langjährige Besitzer Angelo Rocca ist im Herbst 2012 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Der Betrieb wird mittlerweile von der Tochter geführt, die uns auch empfangen hat, ganz ausgezeichnet Englisch spricht und in jeder Hinsicht den Eindruck macht, alles im Griff zu haben.

Die Betriebsphilosophie ist hier eine etwas andere als auf Moccagatta. Auf Moccagatta werden die Lagenweine im Barrique ausgenbaut, wobei jährlich 1/3 der Fässer erneuert wird (was allerdings nicht zu dominanten Neuholznoten führt), während bei Albino Rocca ausschließlich mit 2000-Liter-Holzfässerrn von Stockinger gearbeitet wird, von denen alljährlich weniger als 1/10 erneuert werden. Dafür erfolgt hier die Vinifikation seit Jahren mit hochmodernen Edelstahl-Rotovinifikatoren, während bei Moccagatta die klassische offene Maischegärung praktiziert wird. Wer ist jetzt der Modernist und wer der Traditionalist?

Auch hier gab es zwei Lagen-Barbaresco zu verkosten: Ovello „Vigna Loreto“ und Ronchi. Der Ovello kommt aus einer nur 0,5 ha großen Parzelle mit Südwestausrichtung, die gerade einmal ein 2000-Liter-Fass ergibt. Der 2010er zeigt eine Farbe, die bei mir als Bordeaux-Trinker alle Alarmglocken läuten lässt – Granat mit Orangetönen am Rand, das geht bei jungem Bordeaux gar nicht – aber bei Nebbiolo liegt es im Bereich des Möglichen. Betörend komplexe, balsamische Nase, wirkt fast trinkreif – hinsichtlich der Haltbarkeit für mich doch etwas fragwürdig; lieber früher als später trinken. Der 2010er Ronchi, von 50 bis 70 jährigen Reben von schwereren Böden, könnte kaum kontrastreicher ausfallen; wesentlich dunklere Farbe, mit einem ganz enormen Fruchtkern, aber im Moment etwas schroff und abweisend. Gleiches Spiel wie bei Moccagatta - meiner Frau gefiel der Ovello besser, mir aber der Ronchi – also ging auch hier von beiden Weinen etwas mit.

Noch ein paar Worte zur Haltbarkeit. Ja, die Weine sind haltbar, ein Jahrzehnt dürfte überhaupt kein Problem sein. Aber übertreiben sollte man es nicht. Ein Bricco Asili 1999 von Ceretto, von dem man uns im Rahmen einer Weinbegleitung zu einem Degustationsmenü freundlicherweise ein Glas spendierte, war zwar noch trinkbar, pfiff aber für meinen Geschmack doch schon ziemlich aus dem letzten Loch – und das bei einem Wein, bei dem aktuelle Jahrgänge vor Ort über 100 Euro die Flasche kosten. Barbaresco ist eben doch kein Bordeaux… 8-)

Sonst noch in Erinnerung geblieben sind mir zwei Weine, die ich im Restaurant Rabajà in Barbaresco getrunken habe (das Restaurant ist übrigens jede Empfehlung wert): 2008er Pajè von Boffa – ein ziemlich harter, traditioneller Knochen, könnte aber noch was werden; und ein 2007er Roncaglie der Poderi Colla, superelegant und wirklich enorm trinkig. Colla ist für einen der nächsten Besuche vorgemerkt.

Gruß
Ulli
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UlliB

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragMi 19. Jun 2013, 13:24

Wer in den Langhe „weintechnisch“ unterwegs ist, sollte an einer eher vernachlässigten Sorte nicht achtlos vorbeigehen: Dolcetto.

In den Weinbau-Kernbereichen der Langhe, Barolo und Barbaresco, gibt es eine knallharte Hierarchie: die besten Lagen sind dem Nebbiolo vorbehalten. Wo die Lagen für Nebbiolo nicht gut genug sind, wird Barbera gepflanzt. Wo es dann auch für die Barbera nicht mehr reicht, steht Dolcetto – die Sorte hat also lagentechnisch gewissermaßen die Ar***karte gezogen.

Dafür zieht sie sich allerdings alles andere als schlecht aus der Affäre. Anders als der Namensstamm dolce vermuten lässt, sind die Weine völlig trocken; die Sorte gibt im Gegensatz zum Nebbiolo farbintensive Weine mit einem deutlichen Blau-/Violettstich; dunkle Exemplare können farblich durchaus an jungen Bordeaux erinnern. Die Aromatik ist ganz auf frische Frucht ausgerichtet, insbesondere auf dunkle Kirschen, aber nicht plump oder kitschig, sondern durchaus fein und ansprechend, die meisten Weine haben auch eine lebendige Säure.

Die Sorte wird im Regelfall nicht im Holz ausgebaut. Einfachere Exemplare sind leicht gekühlt ziemlich ideale Sommerweine und sollten nicht allzu lange aufbewahrt werden. Ein gängiger Vergleich ist der mit (einfachem) Beaujolais, der passt aus meiner Sicht recht gut.

Dolcetto kann aber auch anders. Zum einen kümmern sich in den letzten Jahren einige Erzeuger im Barolo-Gebiet intensiver um die Sorte, was den Weinen deutlich anzumerken ist – höhere Intensität, mehr Substanz und Tiefgang. Zu wirklich großer Form läuft die Sorte aber südlich des Barolo-Gebietes auf, nämlich bei Dogliani, wo die Sorte aus dem Schatten von Nebbiolo und Barbera tritt, hier die erste Geige spielt und eine eigene DOCG hat. Wer wissen will, zu was Dolcetto in der Lage ist, sollte vielleicht einmal einen Siri d’Jermu von Pecchenino versuchen.

In diesem Urlaub bin ich auf einen weiteren, absolut bemerkenswerten Dolcetto gestoßen. Bei brütender Hitze auf der Terrasse eines Restaurants bei Asti war mir definitiv nicht nach einem Nebbiolo-Geschoss zu Mute, also habe ich mich in der Weinkarte in der Dolcetto-Abteilung umgesehen. Dort stieß ich auf einen Cremes 2010 von Gaja. Mir war überhaupt nicht bekannt gewesen, dass Gaja auch Dolcetto produziert, und für einen Restaurantpreis von 30 Euro kann man’s ja mal riskieren.

Was dann ins Glas kam, hat mich ziemlich vom Hocker gehauen: tiefdunkel, mit komplexer Fruchtnase, im Gaumen spürbares, gewissermaßen hochglanzpoliertes Tannin, mit für Dolcetto ungewöhnlichem Tiefgang und großer Länge. Wow.

Da war ich natürlich angefressen; ein paar Flaschen mussten unbedingt mit. Gaja empfängt aber grundsätzlich keine Besucher, also stand eine Suche in den diversen lokalen enoteche an. Fündig geworden bin ich dort, wo ich es schon erwartet hatte – bei Fracchia & Berchialla in Alba, der vermutlich am besten sortierten Enoteca in Alba. Dort gab es den 2011er Cremes, für 18,90€ die Flasche – für Dolcetto ein saftiger Preis, aber für das Gebotene für mich ganz ok.

Die Seniorchefin, die über absolut profunde Insiderkenntnisse des ganzen Gebietes verfügt und zu jedem ihrer Weine etwas erzählen kann, hat mich dann natürlich auch über den Cremes näher informiert. Der Wein besteht - anders als bei manchen Anbietern behauptet - nicht zu 100% aus Dolcetto, sondern nur zu etwa 90%, der Rest ist „etwas anderes“, worüber sich Gaja aber nicht näher äußert. Das Wort „Dolcetto“ taucht auf dem Etikett auch nirgends auf, der Wein läuft unter der DOC Langhe, einer Dachappellation, in der so ziemlich alles erlaubt ist (ganz genau so wie übrigens auch die superteuren Spitzenweine von Gaja; die sind allesamt Langhe DOC). Mit feinem Lächeln bemerkte die Dame dazu, dass Gaja wohl lieber Cuvées produziere als rebsortenreine Weine… :)

Gruß
Ulli
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UlliB

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragDo 20. Jun 2013, 16:23

Interessiert das hier eigentlich irgend jemanden, oder ist Italien einfach nur mega-out? Null Kommentare, null Reaktion... :?


Ok, zum Abschluss meines Berichts muss ich jetzt einfach noch mal etwas herummoppern. Denn was ist ein anständiger Reisebericht, ohne über die lokalen Verhältnisse am Urlaubsort wenigstens ein bisschen zu meckern? :P

Es geht um die Art, wie in der italienischen Gastronomie Rotwein serviert wird. Nein, nicht um die Gläser. Das Problem hat man mittlerweile voll im Griff. Während man noch vor 15 Jahren gelegentlich teure Weine im dickwandigen Wasserglas serviert bekommen hat, gibt es mittlerweile auch in etwas besseren Trattorien eine echte Glaskultur, damit ist mittlerweile alles ok.

Es geht um die Temperatur, mit der die Weine ins Glas kommen. Selbst in der gehobenen Gastronomie ist es durchaus üblich, dass die Weine völlig unklimatisiert im Gastraum stehen und bei Bedarf einfach eine Pulle gegriffen wird. Und wenn der Gastraum im Juni 25° oder 26° hat, dann kommt der Wein halt mit 25° oder 26° ins Glas - Raumtemperatur eben :evil:

Dass ein Nebbiolo mit 14 oder 14,5% Alkohol dann vorwiegend nach Sprit stinkt und im Gaumen verwaschen und völlig strukturlos ist, scheint irgendwie niemanden zu stören. Und wenn man als Gast dann einen Kübel mit Eiswasser ordert, erntet man erst einmal komplette Verständnislosigkeit und dann hochgezogene Augenbrauen: klar, die Barbaren aus dem Norden, die wollen eisgekühlten Rotwein (wie bei Asterix) :lol:

Noch viel schlimmer: in manchen Restaurants lagern die Weine auch langfristig unter diesen Bedingungen, was das Trinken älterer Weine zu einer Art Vabanque-Spiel macht. Vor zwei Jahren wurde uns im Restaurant Tre Stelle bei Barbaresco ein komplett durchgekochter Cascina Luisin 2001 präsentiert (bevor hier Spekulationen aufkommen: nein, der weiter oben erwähnte Bricco Asili 1999 war unter perfekten Bedingungen gelagert, ich konnte mir den Keller des Restaurants ansehen; und auch mit richtiger Temperatur serviert).

Es ist eingermaßen ärgerlich, und gleichzeitig auch erstaunlich, dass in einer Gegend, in der eine Vielzahl durchaus bemerkenswerter Rotweine erzeugt werden, die lokale (und ansonsten keineswegs schlechte) Gastronomie derart nachlässig und ahnungslos mit den Weinen umgeht. Wozu macht man sich die Mühe, eine interessante Weinliste zusammenzustellen, wenn man anschließend die Weine in fast untrinkbarem Zustand dem Konsumenten präsentiert :?:

Gruß
Ulli
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olifant

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragDo 20. Jun 2013, 16:43

UlliB hat geschrieben:Interessiert das hier eigentlich irgend jemanden, oder ist Italien einfach nur mega-out? Null Kommentare, null Reaktion... :?


Ja. mich schon :lol:
Ich lese deine Berichte durchaus mit grossem Interesse.
Aber wie du richtig bemerkst, schein Italien mega mega out. Gibt es überhaupt andere Weine als Bordeaux, und deutschen Riesling? :lol:


UlliB hat geschrieben:Ok, zum Abschluss meines Berichts muss ich jetzt einfach noch mal etwas herummoppern. Denn was ist ein anständiger Reisebericht, ohne über die lokalen Verhältnisse am Urlaubsort wenigstens ein bisschen zu meckern? :P

Es geht um die Art, wie in der italienischen Gastronomie Rotwein serviert wird. Nein, nicht um die Gläser. Das Problem hat man mittlerweile voll im Griff. Während man noch vor 15 Jahren gelegentlich teure Weine im dickwandigen Wasserglas serviert bekommen hat, gibt es mittlerweile auch in etwas besseren Trattorien eine echte Glaskultur, damit ist mittlerweile alles ok.

Es geht um die Temperatur, mit der die Weine ins Glas kommen. Selbst in der gehobenen Gastronomie ist es durchaus üblich, dass die Weine völlig unklimatisiert im Gastraum stehen und bei Bedarf einfach eine Pulle gegriffen wird. Und wenn der Gastraum im Juni 25° oder 26° hat, dann kommt der Wein halt mit 25° oder 26° ins Glas - Raumtemperatur eben :evil:

Dass ein Nebbiolo mit 14 oder 14,5% Alkohol dann vorwiegend nach Sprit stinkt und im Gaumen verwaschen und völlig strukturlos ist, scheint irgendwie niemanden zu stören. Und wenn man als Gast dann einen Kübel mit Eiswasser ordert, erntet man erst einmal komplette Verständnislosigkeit und dann hochgezogene Augenbrauen: klar, die Barbaren aus dem Norden, die wollen eisgekühlten Rotwein (wie bei Asterix) :lol:

Noch viel schlimmer: in manchen Restaurants lagern die Weine auch langfristig unter diesen Bedingungen, was das Trinken älterer Weine zu einer Art Vabanque-Spiel macht. Vor zwei Jahren wurde uns im Restaurant Tre Stelle bei Barbaresco ein komplett durchgekochter Cascina Luisin 2001 präsentiert (bevor hier Spekulationen aufkommen: nein, der weiter oben erwähnte Bricco Asili 1999 war unter perfekten Bedingungen gelagert, ich konnte mir den Keller des Restaurants ansehen; und auch mit richtiger Temperatur serviert).

Es ist eingermaßen ärgerlich, und gleichzeitig auch erstaunlich, dass in einer Gegend, in der eine Vielzahl durchaus bemerkenswerter Rotweine erzeugt werden, die lokale (und ansonsten keineswegs schlechte) Gastronomie derart nachlässig und ahnungslos mit den Weinen umgeht. Wozu macht man sich die Mühe, eine interessante Weinliste zusammenzustellen, wenn man anschließend die Weine in fast untrinkbarem Zustand dem Konsumenten präsentiert :?:

Gruß
Ulli


Je weiter südlich du nach Italien kommst, desto italienischer können leider auch die Verhältnisse werden ... verwunderlich ist dies schon, aber die Verhältnisse in manchen deutschen Pizzerien und in der Gastronomie jenseits der Alpen können sich durchaus gleichen. Es ist hier wie dort schlicht nicht selbstverständlich, dass jemand der Ahnung vom Kochen, oder auch nicht, hat, ebenso über eine Ahnung bei Wein verfügt. Leider auch in Italien.
Grüsse

Ralf

Die Zukunft war früher auch besser.
Karl Valentin
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slowcook

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragDo 20. Jun 2013, 19:08

Hallo Ulli

Mit Gemeinplätzen um mich zu schlagen, widerstebt mir zwar ein wenig , aber trotzdem:
Die Italiener, gerade im Piemont, gehen immer noch von einer Raumtemperatur von 18 Grad aus, wie das halt vor 50 Jahren und mehr durchaus noch vorkam. Sie tun sich (teilweise :D ) eher schwer damit, etwas an ihren lange gepflegten Gebräuchen zu ändern, was ja an und für sich durchaus sympathisch ist.

Ich erinnere mich bestens an die grossen Augen der Kellner, wenn ich vor 30 Jahren den Roten im Eiskübel bestellte...

Und noch ein Gemeinplatz: Es ist auch im Sommer Rotweinzeit, der Wein muss einfach noch 3 Grad kühler sein! Haben soeben einen hervorragenden BF Steineiche von Paul Lehrner genossen, den ich immer wieder im Kühlschrank zwischengelagert habe.

Und ich lese deinen Bericht sehr gerne! Bin nur etwas schreibfaul und müde von meiner Radtour durch Kärnten, Steiermark, Slowenien.

Gruss
Werner
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Mr. Nebbiolo

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragFr 21. Jun 2013, 06:38

Lieber Ulli,


Italien ist niemals out und das Piemont schon gleich gar nicht :D ;) .

Wenn du viel Resonanz willst, musst du einen Preis eines Bordeaux im Substhread schreiben, dann bekommst du von 10 Leuten geschrieben, dass der Wein einen Euro zu teuer ist oder einen Punkt zu viel hat ;) :o

Ich habe deine Berichte mit großem Interesse gelesen, Weingüter wie Moccagatta auch schon besucht und kann das alles recht gut nachvollziehen.

Ich war ja die letzten 8 Monate zwei mal im Piemont und in den Lokalen, in denen ich war, wurde sehr gut temperierter Rotwein in besten Gläsern serviert. Das Temperaturproblem bei Rotwein (hauptsächlich natürlich im Sommer) ist aber tatsächlich ein italienisches und das wird man nur ganz langsam "weg" bringen :o :( ;) . Selbst in 5 Sterne Hotels am Gardasee, die ja Massen von zahlungskräftigen Touristen haben und teure Rotweine aus einer sehr guten Weinkarte anbieten, wird dort der zimmerwarme (25 Grad) Rotwein serviert.

Ich lese deine Postings sicher noch mal, will mir die einzelnen Weine noch mal ins Gedächtnis rufen ;) . Solche Berichte also gerne weiter.
Grüße

Klaus
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Dick

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Re: Reiseberichte Italien

BeitragFr 21. Jun 2013, 11:32

Hallo Ulli,

Ich lese deine Berichte durchaus mit grossem Interesse.
Ich habe nicht so viel Zeit, um alle Nachrichten zu reagieren, bin auch oft auf eine niederländische Weinforum beschäftigt, ist etwas einfacher, in Bezug auf Sprache
Mit freundlichen Grüßen aus Holland,
Dick
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