Re: Wein und Sinus-Milieus
Verfasst: Sa 24. Apr 2021, 23:04
Bernd Schulz hat geschrieben:Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?
...daß Du ein Weltbürger und Tausendsassa bist...
Bernd Schulz hat geschrieben:Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?
Bernd Schulz hat geschrieben:Primär deshalb, weil jeder unabhängig von seiner Umgebung/seinem "Milieu" ein individuelles Individuum ist . Das Grundproblem jedweder Soziologie liegt für mich in der Überbetonung von äußeren Umständen.
Bernd Schulz hat geschrieben:Im Übrigen trinke ich nicht nur gerne Riesling, Silvaner, Muskateller, Scheurebe, Veltliner, Müller-Thurgau, Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder, Blaufränkisch, Syrah, Grenache, Tempranillo...etc. usf....... - sondern auch Primitivo und Dornfelder, wenn der betreffende Wein denn etwas taugt . Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?
Ungeachtet der fehlenden empirischen Evidenz spricht vieles dafür, dass sich Offenheit im Umgang mit kultureller Diversität als ein bedeutsamer Wert sowie als Handlungsmaxime in bildungsnahen Kreisen etabliert hat. Beobachten lässt sich ein Wandel, der am ehesten als Übergang von ästhetischen hin zu moralischen Grenzziehungen beschrieben werden kann. Waren es in Bourdieus Analyse vor allem die symbolischen Grenzen zwischen Hoch- und Popu- larkultur, die klassenspezifische Hierarchien verfestigt haben, sind es bei den Omnivores moralische Grenzen, die in klassenspezifischer Hinsicht relevant werden. Der Anspruch auf soziale Superiorität wird legitimiert durch Offenheit und Aufgeschlossenheit – Werte, die, wenngleich nicht von allen gleichermaßen praktisch umgesetzt, so doch von kaum jemandem prinzipiell bezweifelt oder in Frage gestellt werden. Genau damit aber wäre jenes Einverständnis der Beherrschten gegeben, das als grundlegende Voraussetzung für symbolische Herrschaft gilt.
jessesmaria hat geschrieben:..."Ungeachtet der fehlenden empirischen Evidenz spricht vieles dafür, dass sich Offenheit im Umgang mit kultureller Diversität als ein bedeutsamer Wert sowie als Handlungsmaxime in bildungsnahen Kreisen etabliert hat. Beobachten lässt sich ein Wandel, der am ehesten als Übergang von ästhetischen hin zu moralischen Grenzziehungen beschrieben werden kann. Waren es in Bourdieus Analyse vor allem die symbolischen Grenzen zwischen Hoch- und Popu- larkultur, die klassenspezifische Hierarchien verfestigt haben, sind es bei den Omnivores moralische Grenzen, die in klassenspezifischer Hinsicht relevant werden. Der Anspruch auf soziale Superiorität..."
jessesmaria hat geschrieben:Jedenfalls, als von Beruf Künstler (bzw. Musiker)...
jessesmaria hat geschrieben:Eine größere Herausforderung wäre dann wohl soziologisch zu analysieren, warum du die Goldbergvariationen lieber von Lang Lang als auf dem Cembalo hörst und was das damit zu tun hat, dass du gerne restsüße Moselauslesen und deutschen Spätburgunder trinkst.
Gerald hat geschrieben: In bestimmten Situationen kann es durchaus sinnvoll sein, die Menschen nach zwei oder mehr Dimensionen in Gruppen einzuordnen, z.B. wenn man als Unternehmer darauf eine Marketingstrategie aufbauen möchte (also welche der Gruppen möchte ich überhaupt mit meinem Produkt/Dienstleistung ansprechen, muss ich je nach Gruppe meine Maßnahmen unterschiedlich ausrichten etc.).
...das sehe ich als generelles, berufsspezifisches Problem, man neigt häufig zur Ausbildung einer gewissen Branchensprache, da nehme ich mich selbst nicht aus. Selbst innerhalb meiner Projekte muß man in der "interdisziplinären Kommunikation" höllisch aufpassen, damit auch wirklich jeder jeden richtig versteht, um Chaos zu vermeiden.Bernd Schulz hat geschrieben:Puh, alleine diese Sprache verursacht mir eine gewisse Übelkeit
Gerald hat geschrieben:Ich verstehe persönlich nicht ganz den Sinn dieser Klassifizierung von Weinkonsumenten. In bestimmten Situationen kann es durchaus sinnvoll sein, die Menschen nach zwei oder mehr Dimensionen in Gruppen einzuordnen, z.B. wenn man als Unternehmer darauf eine Marketingstrategie aufbauen möchte (also welche der Gruppen möchte ich überhaupt mit meinem Produkt/Dienstleistung ansprechen, muss ich je nach Gruppe meine Maßnahmen unterschiedlich ausrichten etc.).
Aber ohne weiteres davon ausgehendes Ziel (oder habe ich es nur nicht gefunden?) die Gruppeneinteilung vorzunehmen, da ist mir der Sinn einfach nicht klar. Oder geht es da rein um Unterhaltung, so wie die regelmäßig in Boulevardmedien präsentierten Selbsttests in der Art von "Welcher Reise-Typ bist du"?
jessesmaria hat geschrieben:Ich finde es spannend, auch mal ab und zu sich selbst zu hinterfragen bzw. reflektieren, warum man eigentlich so konsumiert wie man konsumiert, warum man das Gefühl hat, mit manchen Menschen auf einer Wellenlänge zu sein und mit anderen gar nicht, warum der eine Primitivo trinkt und der andere Dornfelder (was ja wohl selten damit zu tun hat, dass beide beides gleichermaßen unvoreingenommen probiert und sich dann für das ein oder andere entschieden haben) und wie diese Dinge zusammenhängen.
Bernd Schulz hat geschrieben:Puh, alleine diese Sprache verursacht mir eine gewisse Übelkeit...empirische Evidenz....kulturelle Diversität....Handlungsmaxime....soziale Superiorität....
UlliB hat geschrieben:Wenn man auf die weiter oben verlinkte Homepage vom Sinus-Institut geht, sieht man, dass es genau darum geht: um die Definition von Zielgruppen für "maßgeschneiderte" Marketing-Kampagnen.
Bei Wein glaube ich eher nicht, dass das da funktioniert.
Kle hat geschrieben:Viele spätere Weinenthusiasten berichten, in einer Soziowelt mit recht bodenständigem Weingeschmack aufgewachsen zu sein und durchs Probieren einfachster Konsumweine, die nach einer Weile weniger gut schmeckten, die Lust auf komplexere, subtilere Sachen entwickelt zu haben - weil es sonst langweilig geworden wäre und, wie bei jedem Interesse, aus Entdeckerfreude.
jessesmaria hat geschrieben:Einfach gedacht mag es wohl idealerweise so funktionieren: Der Verkäufer verkauft den Wein, der ihm gefällt. Da dieser vorwiegend die Menschen seines Milieus anspricht (da diese denselben Wein mögen), muss er ihn nur nach seinen Vorstellungen präsentieren und spricht damit automatisch die richtigen Leute an.
UlliB hat geschrieben:Und genau so funktioniert es in der Realität eben nicht.
Ich bin mit einem Weinhändler befreundet, der hier vor Ort einen recht erfolgreichen Präsenzhandel betreibt. Von 100 Flaschen, die der Mann verkauft, kosten 98 weniger als 7,50 €. Er steht insofern zu diesen Weinen, als dass er meint, dass keiner davon eine "grobe Schweinerei" sei. Aber selber trinken tut er die nicht, keinen davon, der ist für sich selber preislich und qualitativ ganz woanders unterwegs.
In einer Kleinstadt hat man auch noch den Vorteil (oder den Nachteil, je nachdem), seine Kunden nicht nur zu kennen, sondern auch sozial einordnen zu können. Etliche seiner "immer-unter-7-Euro"-Kunden sind mehrfache Millionäre. So viel zur sozialen Schicht...
Und das, was hier beobachtet wird, kann kein Einzelfall sein - anders ließen sich der vom DIW seit Jahren ziemlich konstant berichtete Preis von etwa 6 Euro für eine Flasche Wein im Fachhandel (!) nicht erklären.
Und wenn man man etwas weiter auf die Marktrealitäten schaut, würde man sehen, dass auch die weit überwiegende Mehrzahl der Leute aus den Gruppen der "Konservativ Etablierten", "Liberal Intellektuellen", "Performern" und den anderen sogenannten Besserverdienern ihren Wein wie auch alle anderen beim Aldi oder im Supermarkt um die Ecke kaufen.
Ein Händler wie Lobenberg lebt in einer ziemlich engen Nische, Umsatz hin oder her. Von seiner (angenommenen) Kundschaft eine Allgemeingültigkeit bestimmter soziologischer Denkmodelle im Bezug auf Weinkonsumenten ableiten zu wollen, ist gelinde gesagt reichlich abwegig.