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Wein und Sinus-Milieus

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In welchem Sinus-Milieu findet ihr euch am ehesten wieder?

Konservativ-etabliertes Milieu
1
9%
Liberal-intellektuelles Milieu
3
27%
Milieu der Performer
0
Keine Stimmen
Expeditives Milieu
0
Keine Stimmen
Sozialökologisches Milieu
2
18%
Adaptiv-pragmatisches Milieu
1
9%
Bürgerliche Mitte
2
18%
Traditionelles Milieu
0
Keine Stimmen
Hedonistisches Milieu
1
9%
Prekäres Milieu
1
9%
 
Abstimmungen insgesamt : 11

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jessesmaria

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Wein und Sinus-Milieus

BeitragMi 21. Apr 2021, 09:05

Die Vorstellung eines zweidimensionalen "sozialen Raums" mit zwei Achsen geht zurück auf den berühmten Soziologen Pierre Bourdieu. Im Unterschied zu den heute insbesondere für das Marketing wichtigen Sinusmilieus verwendete er die Achsen kulturelles und ökonomisches Kapital. Der idealtypische Weinkenner besitzt viel von beidem: ökonomisches Kapital, logisch, denn Wein ist kostspielig. Kulturelles Kapital, denn Wein ist Kulturgut. Den Geschmack der herrschenden Klasse nennt Bordieu den "legitimen Geschmack". Er würdigt das Sublime gegenüber dem Profanen, den distinguierten gegenüber dem natürlichen ("vulgären") Genuss. Sein Bereich ist die Hochkultur in Abgrenzung zur Popularkultur – und das, so die Pointe, nicht etwa zuletzt aus rein ästhetischen Gründen oder individuellen Geschmacksvorlieben; diese entspringen vielmehr dem vorgeordneten Motiv sozialer Distinktion.

Zitat Bourdieu:

Die Negation des niederen, groben, vulgären, wohlfeilen, sklavischen, mit einem Wort: natürlichen Genusses, diese Negation, in der sich das Heilige der Kultur verdichtet, beinhaltet zugleich die Affirmation der Überlegenheit derjenigen, die sich sublimierte, raffinierte, interesselose, zweckfreie, distinguierte, dem Profanen auf ewig untersagte Vergnügen zu verschaffen wissen. Dies ist der Grund, warum Kunst und Kunstkonsum sich – ganz unabhängig vom Willen und Wissen der Beteiligten – so glänzend eignen zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion der Legitimierung sozialer Unterschiede.


Am offensichtlichen ist das beim Kunst-, besonders Musikgeschmack, aber Bourdieu bezieht auch etwa Wohnen (Mobiliar), Kleidung, Essen und Trinken mit ein.
Beim Wein passen die Attribute Bourdieus vorzüglich: Sublim und raffiniert ist aus Sicht des Kenners ein anspruchsvoller Wein, zweckfreier Genuss ist ihm angemessen (d. h., nicht als Durstlöscher, für den fröhlichen Rausch, der Gesellschaft wegen o. ä.). Distinguiert ist schon der Modus der Beschaffung (etwa beim Fachhändler statt wahllos im Supermarkt).

Nun zu den Sinus-Milieus.

Eine Einführung gibt es hier: https://www.sinus-institut.de/sinus-loe ... utschland/
Hier kann man sogar schauen, mit welchem Wohnzimmer man sich am ehesten identifiziert: https://www.sinus-institut.de/fileadmin ... _slide.pdf

Die (durch kulturelles sowie ökonomisches Kapital) herrschenden Klassen befinden sich in den auf der y-Achse oberen Milieus. Es ist daher davon auszugehen, dass Weinkenner (und damit der Durchschnitt der hier im Forum Aktiven) sich vorwiegend in diesen Milieus wiederfinden: Konservativ-etabliertes Milieu, Liberal-intellektuelles Milieu, Milieu der Performer, Expeditives Milieu.
Spannend ist, inwieweit sich weiter differenzieren lässt. Ist der "klassische" Weinkenner im konservativ-etablierten Milieu zuhause? Er könnte in einem Internetforum aufgrund des Mediums dennoch leicht unterrepräsentiert sein. Lassen sich verschiedene Weine bzw. Weinstile konkret unterschiedlichen Milieus zuordnen? – Etwa Bordeaux-Wein dem konservativ-etablierten, Naturwein hingegen mehr dem liberal-intellektuellen? Dornfelder dem traditionellen Milieu, Primitivo dem adaptiv-pragmatischen? Der Biomarkt-Wein dem sozialökologischen?
Kann man Weinkonsum überhaupt auf der x-Achse verorten, die bei den Sinusmilieus im Unterschied zur Theorie Bourdieus eben nicht das kulturelle Kapital ist, sondern die Grundorientierung von traditionell bis progressiv? Den Weinkonsum sicher nicht, aber wahrscheinlich verschiedene Spielarten davon, würde ich annehmen.

Wo findet ihr euch wieder?
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jessesmaria

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragFr 23. Apr 2021, 16:29

Schade, scheint hier nicht so zu interessieren. So ist die Umfrage natürlich nicht repräsentativ.

Ich habe gerade herausgefunden, dass es sogar ein Buch genau zu diesem Thema gibt – ganz uninteressant kann's also nicht sein:

https://books.google.de/books?id=XtW9Dg ... &q&f=false

Dem, was man über die Google-Vorschau lesen kann, ist zu entnehmen, dass der Autor etwa wie folgt zuordnet:

Konservativ-etabliertes Milieu

Klassische Weine: Bordeaux, Burgund, deutscher Riesling; Champagner (Champagner platziert Bourdieu in seinem sozialen Raum als typisch für Menschen mit hohem ökonomischen und weniger hohem kulturellen Kapital.)

Liberal-intellektuelles Milieu

Weine abseits des Mainstreams, Bio-Weine

Postmodernes Milieu

Modeweine (Leider kann man in der Vorschau nicht lesen, welche Moden damit gemeint sind.)

Traditionelles bürgerliches Milieu

Supermarktweine

Traditionelles Arbeitermilieu

Wein in Kneipen, süße Weine

Adaptives Milieu

Im Inhaltsverzeichnis gibt's den Unterpunkt "Internet und Wein": Vielleicht die Zielgruppe des 90-P-LM-Weins aus Apulien zum halben Preis bei Belvini?

Statusorientiertes Milieu

Winzersekt, Punkteweine

Modernes bürgerliches Milieu

Dornfelder, Aldi-Weine

Konsum-materialistisches Milieu

Billigstweine

Hedonistisches Milieu

Neue Welt-Weine, Prosecco

Die Milieus wandeln sich mit den Generationen, das Buch ist bald 20 Jahre alt und daher sind die Milieus noch etwas anders. Super seriös scheint das Buch auf den ersten Eindruck nicht geschrieben, wissenschaftlich schon gar nicht, aber ganz unterhaltsam.

Nach einer Weile Lesen hier im Forum habe ich den Eindruck, die deutlichste Abgrenzung hier findet gegenüber den Statusorientierten ("Punktetrinkern") statt (bei Bourdieu das Kleinbürgertum mit dem "mittleren Geschmack", heute das Sinus-Milieu der "Bürgerlichen Mitte"), sowie gegenüber den Traditionellen (Supermarktweine). Die Weine der unteren Milieus (deren Medium das Internetforum wohl eher nicht ist) spielen hier natürlich auch keine große Rolle.
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Georg R.

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragFr 23. Apr 2021, 18:59

Ey isch mag auch Wein und so... mach ma bürgerliche Mitte, wa?

:D
Man kann die Erkenntnisse der Medizin auf eine knappe Formel bringen: Wasser, mäßig genossen, ist unschädlich.
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Jochen R.

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragFr 23. Apr 2021, 19:07

Ich schätze den vulgären Genuss. Fehlt leider in der Abfrage.
Belgrave ist nichts für Unschuldige
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EThC

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragFr 23. Apr 2021, 20:19

...ganz grundsätzlich akzeptiere ich in meinem (Privat-) Leben eine ganze Menge an Axiomen und hinterfrage diese auch nicht. Deshalb interessiert mich eigentlich kaum, warum ich hedonistisch veranlagt bin, warum ich "meine" Weine trinke und "meine" Musik höre. Ich tu's einfach, hab Spaß dabei und sperre mich dagegen, wenn mich jemand unbedingt in eine Schublade einordnen möchte...
Zuletzt geändert von EThC am Fr 23. Apr 2021, 21:35, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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Bernd Schulz

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragFr 23. Apr 2021, 21:06

EThC hat geschrieben:....und sperre mich dagegen, wenn mich jemand unbedingt in eine Schublade einordnen möchte...


Ganz genauso verhält es sich bei mir auch. Und hier kommt noch erschwerend hinzu, dass ich keine der Schubladen als für mich auch nur einigermaßen passend erachte.

Jessesmaria, mit Schopenhauer, auf den du neulich verwiesen hast, kann ich eine ganze Menge anfangen. Klischeehafte "Sinus-Milieus" hingegen interessieren mich - um es ganz offen und auf gut deutsch zu sagen - nicht die Bohne. Sorry.... :oops:...aber man muss für sich entscheiden, womit man sich gedanklich nicht befassen möchte, da die Kapazität des Hirnkastens nun mal beschränkt ist. Der Herr Bourdieu bleibt bei mir ganz, ganz weit außen vor.

Herzliche Grüße

Bernd
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maha

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragSa 24. Apr 2021, 12:40

Bernd Schulz hat geschrieben:"Sinus-Milieus" hingegen interessieren mich - um es ganz offen und auf gut deutsch zu sagen - nicht die Bohne. Sorry....

+1
Der schönste Sport ist der Weintransport!
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jessesmaria

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragSa 24. Apr 2021, 21:14

Ok, die Abwehrreflexe seien euch unbenommen. ;)
So auf die Kürze runtergebrochen wirken die Kategorien natürlich sehr klischeehaft und pauschalisierend, aber ich glaube, die Theorie des sozialen Raums ist schon ziemlich komplex, zumindest bei Bourdieu. Diesem ging es nicht zuletzt darum, dass sozialer Aufstieg eben nicht so einfach durch Bildungschancen und Wohlstand für alle möglich wird, sondern die Milieus mit ihren jeweiligen, in den Individuen tief verwurzelten "Codes" sich fortwährend selbst reproduzieren und Herrschaftsverhältnisse zementieren. Also eigentlich Gesellschaftskritik.
Ich finde es spannend, auch mal ab und zu sich selbst zu hinterfragen bzw. reflektieren, warum man eigentlich so konsumiert wie man konsumiert, warum man das Gefühl hat, mit manchen Menschen auf einer Wellenlänge zu sein und mit anderen gar nicht, warum der eine Primitivo trinkt und der andere Dornfelder (was ja wohl selten damit zu tun hat, dass beide beides gleichermaßen unvoreingenommen probiert und sich dann für das ein oder andere entschieden haben) und wie diese Dinge zusammenhängen.
Oder, um – für dich, Bernd – Schopenhauer zu zitieren: Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.
(Der Soziologe heute würde wohl sagen: in einer anderen Blase.)
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EThC

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragSa 24. Apr 2021, 21:30

jessesmaria hat geschrieben:Ich finde es spannend, auch mal ab und zu sich selbst zu hinterfragen bzw. reflektieren, warum man eigentlich so konsumiert wie man konsumiert, warum man das Gefühl hat, mit manchen Menschen auf einer Wellenlänge zu sein und mit anderen gar nicht

...dem kann ich schon zustimmen, soweit es jeweils um einen selbst geht. Wenn man aber anfängt, das über mehr als eine Person kategorisieren zu wollen, ist das m.E. von vornherein zum Scheitern verurteilt, so viele Dimensionen kann die Matrix gar nicht aufweisen, um alle persönlichen Eigenheiten der Zielgruppe zu berücksichtigen. Für wen also bringt solch eine Kategorisierung was? Jedenfalls für den Einzelnen nichts, denke ich. Bestenfalls für einen Weinerzeuger.
Wenn ich mir z.B. die o.a. Zuordnung von Weinen zu den "Milieus" anschaue, geht da für mich persönlich alles kreuz und quer durcheinander, d.h. bei den Gruppen, zu denen ich eine gewisse (Teil-) Zugehörigkeit für mich bejahen würde, stehen Weine, die mit mir bzw. meinen Vorlieben wenig bis gar nichts zu tun haben und umgekehrt.

Warum muß man eigentlich immer für alles eine Schublade haben?
Viele Grüße
Erich

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Bernd Schulz

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Re: Wein und Sinus-Milieus

BeitragSa 24. Apr 2021, 21:50

jessesmaria hat geschrieben:Ich finde es spannend, auch mal ab und zu sich selbst zu hinterfragen bzw. reflektieren, warum man eigentlich so konsumiert wie man konsumiert, warum man das Gefühl hat, mit manchen Menschen auf einer Wellenlänge zu sein und mit anderen gar nicht, warum der eine Primitivo trinkt und der andere Dornfelder (was ja wohl selten damit zu tun hat, dass beide beides gleichermaßen unvoreingenommen probiert und sich dann für das ein oder andere entschieden haben) und wie diese Dinge zusammenhängen....


Gut formuliert, keine Frage! :)

EThC hat geschrieben:...dem kann ich schon zustimmen, soweit es jeweils um einen selbst geht. Wenn man aber anfängt, das über mehr als eine Person kategorisieren zu wollen, ist das m.E. von vornherein zum Scheitern verurteilt, so viele Dimensionen kann die Matrix gar nicht aufweisen, um alle persönlichen Eigenheiten der Zielgruppe zu berücksichtigen. Für wen also bringt solch eine Kategorisierung was? Jedenfalls für den Einzelnen nichts, denke ich.


Und noch besser geantwortet! :) :)

jessesmaria hat geschrieben:Oder, um – für dich, Bernd – Schopenhauer zu zitieren: Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.


Ja, jeder lebt in einer anderen Welt. Primär deshalb, weil jeder unabhängig von seiner Umgebung/seinem "Milieu" ein individuelles Individuum ist :twisted: . Das Grundproblem jedweder Soziologie liegt für mich in der Überbetonung von äußeren Umständen.

Im Übrigen trinke ich nicht nur gerne Riesling, Silvaner, Muskateller, Scheurebe, Veltliner, Müller-Thurgau, Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder, Blaufränkisch, Syrah, Grenache, Tempranillo...etc. usf....... - sondern auch Primitivo und Dornfelder, wenn der betreffende Wein denn etwas taugt ;). Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?

Herzliche Grüße

Bernd
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